Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
gefühllos.
»Wach?« Die Stimme klang seltsam vertraut. Anton drehte sich zum Beifahrersitz. Starrte in ein Augenpaar, das ihn durch die Löcher einer Balaklava ansah. Genau diese Sturmhauben verwendeten sie auch bei der Sondereinheit Delta.
»Dann machen wir die hier mal los.«
Die in einem Handschuh steckende linke Hand packte die Handbremse zwischen ihnen und zog sie an. Anton hatte das ratschende Geräusch der alten Handbremsen immer gemocht, für ihn der Inbegriff von Mechanik, von Zahnrädern und Ketten, etwas, das man verstehen konnte. Erst wurde der Griff der Handbremse angezogen und dann lautlos nach unten gedrückt. Nur ein leises Knirschen war zu hören. Aber das kam von den Rädern. Sie setzten sich in Bewegung, einen oder zwei Meter, denn Anton hatte automatisch auf die Bremse gedrückt. Mit aller Kraft, weil der Motor aus war.
»Gut reagiert, Mittet.«
Anton starrte durch die Windschutzscheibe. Die Stimme. Diese Stimme. Er lockerte den Druck auf dem Bremspedal etwas und sofort knirschte es wieder wie ein schlecht geöltes Scharnier. Das Auto setzte sich erneut in Bewegung. Noch einmal stemmte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Bremse.
Das Licht im Wagen ging an.
»Glauben Sie, René wusste, dass er sterben sollte?«
Anton Mittet antwortete nicht. Für einen Augenblick hatte er sich selbst im Spiegel gesehen. Er glaubte jedenfalls, dass er das war. Sein Gesicht war über und über mit Blut verschmiert. Die Nase war irgendwie zur Seite gedrückt, sie musste gebrochen sein.
»Wie fühlt sich das an, Mittet? Wenn man es weiß? Können Sie mir das sagen?«
»W… warum?« Antons Frage kam ganz von allein, dabei wusste er nicht einmal, ob er es wirklich wissen wollte. Nur, dass er fror und wegwollte. Er wollte zu Laura. Sie festhalten. Von ihr gehalten werden. Sie riechen und ihre Wärme spüren.
»Haben Sie das nicht verstanden, Mittet? Weil ihr den Fall nicht gelöst habt, das ist doch klar. Ich gebe euch eine neue Chance. Die Gelegenheit, aus alten Fehlern zu lernen.«
»L… lernen?«
»Die psychologische Forschung hat nachgewiesen, dass eine leicht negative Beurteilung einer Arbeit die Motivation am stärksten fördert und zu den besten Resultaten führt. Nicht richtig negativ, aber auch nicht positiv, bloß eine leichte Kritik. Euch damit zu strafen, jedes Mal nur einen der Ermittler des Teams zu töten, ist doch wohl eine ansatzweise negative Rückmeldung, oder meinen Sie nicht?«
Die Räder knirschten, und Anton drückte das Pedal noch fester durch. Er starrte in den Abgrund.
»Das ist die Bremsflüssigkeit«, sagte die Stimme. »Ich habe die Leitung angeritzt. Die sickert jetzt raus. Irgendwann nützt es Ihnen nichts mehr, auf die Bremse zu treten, so fest Sie können. Glauben Sie, dass Sie noch etwas denken, wenn Sie fallen? Dass Sie noch irgendetwas bereuen können?«
»Was bereuen …?« Anton wollte weiterreden, aber es kam nichts mehr, sein Mund war plötzlich wie mit Mehl gefüllt. Fallen. Er wollte nicht in die Tiefe stürzen.
»Das mit dem Schlagstock«, sagte die Stimme. »Bereuen Sie, dass Sie nicht geholfen haben, den Mörder zu finden? Das hätte Sie jetzt retten können, wissen Sie.«
Anton hatte das Gefühl, die Bremsflüssigkeit mit seinem Fuß aus der Leitung zu quetschen. Je fester er drückte, desto schneller verlor das System die Flüssigkeit. Er lockerte den Druck ein kleines bisschen, hörte sofort das Knirschen unter den Reifen, stemmte den Rücken gegen die Lehne und stand beinahe auf dem Bremspedal. Das Auto hatte zwei separate hydraulische Bremssysteme, vielleicht war ja nur das eine kaputt.
»Wenn Sie bereuen, werden Ihnen Ihre Sünden vielleicht vergeben, Mittet. Jesus ist großherzig.«
»I… ich bereue. Holen Sie mich hier raus.«
Leises Lachen. »Aber Mittet, ich rede doch vom Himmelreich. Ich bin nicht Jesus, von mir können Sie keine Vergebung erwarten.« Kurze Pause. »Und die Antwort ist: Ja, ich habe beide Bremskreisläufe angeschnitten.«
Anton glaubte das Tropfen der Bremsflüssigkeit zu hören, bis er merkte, dass das sein eigenes Blut war, das von der Spitze seines Kinns in seinen Schoß tropfte. Er würde sterben. Plötzlich wurde ihm diese Tatsache mit einer solchen Klarheit bewusst, dass ihm eiskalt wurde und er sich kaum noch bewegen konnte, als breitete sich die Rigor mortis bereits in seinem Körper aus. Aber warum hockte der Mörder noch immer an seiner Seite?
»Sie haben Angst zu sterben«, sagte die Stimme. »Ihr Körper
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