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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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verrät das, er sondert einen speziellen Geruch ab. Riechen Sie das. Das ist Adrenalin. Es riecht nach Medizin und Urin. Das ist der gleiche Geruch, den man auch in Altersheimen und in Schlachthäusern riecht. Der Geruch der Todesangst.«
    Anton rang nach Luft.
    »Ich selbst habe nicht die geringste Angst vor dem Tod«, sagte die Stimme. »Ist das nicht seltsam? Dass man etwas derart fundamental Menschliches wie die Angst zu sterben verlieren kann? Natürlich hängt das mit der Lust zu leben zusammen, aber nur teilweise. Manche Menschen verbringen ihr ganzes Leben an einem Ort, an dem sie eigentlich nicht sein wollen, weil sie Angst haben, dass es woanders noch schlimmer sein könnte. Ist das nicht traurig?«
    Anton hatte das Gefühl zu ersticken. Er selbst hatte nie Asthma gehabt, aber er wusste, wie es war, wenn Laura ihre Anfälle hatte. Er hatte die Verzweiflung in ihrem Gesicht gesehen, das Flehen, und sein Entsetzen, ihr nicht helfen zu können und bloß zuschauen zu können bei ihrem panischen Kampf um Luft. Ein Teil von ihm war aber auch voller Neugier gewesen und hatte wissen wollen, wie es war, wie es sich anfühlte, wenn man am Rande des Todes stand und spürte, dass man machtlos war, bloß ein Spielball anderer Kräfte, die sich gegen einen wendeten.
    Jetzt wusste er es.
    »Ich selbst glaube ja, dass der Tod ein besserer Ort ist«, predigte die Stimme. »Aber ich kann jetzt nicht mit Ihnen kommen, Anton. Das verstehen Sie vielleicht, ich habe einen Job zu erledigen.«
    Anton hörte wieder das Knirschen. Als würde eine heisere Stimme langsam einen Satz beginnen und erst dann richtig in Fahrt kommen. Weiter konnte er das Bremspedal nicht nach unten drücken, es war schon bis zum Anschlag durchgedrückt.
    »Leben Sie wohl.«
    Er spürte die Luft, die durch die Beifahrertür strömte, als sie geöffnet wurde.
    »Der Patient«, stöhnte Anton.
    Er starrte vor sich auf den Rand des Abgrunds, hinter dem alles verschwand, spürte aber, dass die Person auf dem Beifahrersitz sich ihm noch einmal zuwandte.
    »Welcher Patient?«
    Anton streckte die Zunge heraus, fuhr sich damit über die Oberlippe und schmeckte etwas Feuchtes, Metallisches. Dann befeuchtete er seinen Mund. Fand seine Stimme wieder. »Der Patient im Reichshospital. Ich wurde vor seinem Tod betäubt. Waren Sie das?«
    Ein paar Sekunden Stille folgten, in der er nur den Regen hörte. Das Fallen der Tropfen dort draußen im Dunkel. Gab es einen schöneren Laut? Wenn er wählen könnte, würde er tagaus, tagein diesem Geräusch lauschen. Jahr für Jahr. Einfach nur zuhören, jede Sekunde, die ihm in seinem Leben vergönnt war.
    Der Körper neben ihm bewegte sich, er spürte, wie sich der Wagen leicht anhob, als der andere ausstieg und die Tür sanft ins Schloss fallen ließ. Er war allein mit dem Geräusch der Räder, die sich Millimeter für Millimeter mit einem rauen Flüstern über den Kies bewegten. Die Handbremse war nur fünfzig Zentimeter von seiner rechten Hand entfernt. Anton versuchte, die Hände vom Lenkrad zu reißen, und spürte nicht einmal, wie seine Haut riss. Das raue Flüstern wurde immer lauter und schneller. Er war zu groß und ungelenk, um die Handbremse mit dem Fuß nach oben zu drücken, weshalb er sich nach unten beugte und den Mund aufriss. Er bekam den Griff der Handbremse zu fassen, spürte, wie er sich gegen die Zähne seines Oberkiefers drückte, und versuchte, ihn hochzuziehen, doch der Griff rutschte ihm aus dem Mund. Er versuchte es noch einmal, wusste aber, dass es zu spät war. Trotzdem, lieber wollte er kämpfend sterben, kämpfend, verzweifelt und lebendig. Er drehte sich um und bekam den Griff der Handbremse wieder in den Mund.
    Mit einem Mal war es vollkommen still. Die Stimme war verstummt, und der Regen schien von einer Sekunde auf die andere aufgehört zu haben. Nein, er hatte nicht aufgehört, er spürte ihn doch. Schwerelos, während er sich in einem langsamen Walzer drehte, wie damals, als er mit Laura getanzt hatte und all ihre Freunde um sie herumgestanden hatten. Er drehte sich um seine eigene Achse, langsam, wiegend, eins – zwei – drei, nur dass er jetzt ganz allein war. Er fiel in diese absolute Stille, zusammen mit dem Regen.

Kapitel 14
    L aura Mittet sah sie an. Sie war nach unten vor das Haus im Elveparken gekommen, als es geklingelt hatte, und stand jetzt frierend und mit verschränkten Armen in ihrem Morgenrock vor ihnen. Die Uhr sagte, dass es noch Nacht war, aber es war schon hell, und auf

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