Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
es wohl sein«, sagte er. »Ich bin hier falsch. Die sind auf dem anderen Platz. Die warten sicher da auf mich.«
Beate starrte auf seinen schmalen Rücken. Langsam schlurfte er in Richtung Ausgang.
Sie selbst begann in Richtung Majorstua zu laufen. Und während sie darüber nachdachte, wohin Valentin fuhr, woher er kam und wie nah sie dran gewesen war ihn zu verhaften, hallte noch immer das Echo der alten, krächzenden Stimme durch ihren Kopf.
Die warten sicher da auf mich.
Mia Hartvigsen sah Harry Hole lange an.
Die Studenten hatten das Anatomische Institut im Erdgeschoss des Reichshospitals verlassen, und als alle weg waren, hatte das Echo der Vergangenheit mit dem Obduktionsbericht von Asajev unterm Arm den Raum betreten.
Sie hatte die Arme verschränkt und ihm halbwegs die Schulter zugedreht. Rund um die Pathologin standen blaue Plastikgefäße mit abgetrennten Körperteilen. Ihre abweisende Körperhaltung hatte nichts damit zu tun, dass Mia Hartvigsen Hole nicht mochte, sondern sie ahnte, dass in seinem Kielwasser Schwierigkeiten lauerten. Wie immer. Als er noch als Ermittler gearbeitet hatte, war Hole gleichbedeutend mit Überstunden gewesen, mit zu kurzen Deadlines und der verdammt großen Chance, wegen irgendwelcher nicht selbstverschuldeter Versäumnisse auf der Anklagebank zu landen.
»Ich sage doch, wir haben Rudolf Asajev obduziert«, sagte Mia. »Gründlich.«
»Nicht gründlich genug«, sagte Harry und legte den Bericht auf einen der glänzenden Metalltische, auf denen die Studenten gerade menschliche Körperteile zerlegt hatten. Unter einer Decke ragte ein muskulöser Arm hervor, abgetrennt in Höhe der Schulter. Harry las die Buchstaben der verblassten Tätowierung auf dem Oberarm. Too young to die . Nun. Vielleicht einer von den Los Lobos, der Motorradgang, die bei Asajevs Feldzug gegen seine Konkurrenten aufgerieben worden war.
»Und was lässt Sie glauben, dass wir nicht gründlich genug gearbeitet haben, Hole?«
»Na ja, zum einen, dass es Ihnen nicht gelungen ist, eine Todesursache nachzuweisen.«
»Sie wissen doch ganz genau, dass einem manche Körper einfach keine Indizien geben. Aber das muss noch lange nicht heißen, dass es sich nicht um eine ganz natürliche Todesursache handelt.«
»Das Natürlichste in einem solchen Fall wäre aber doch wohl, dass jemand ihn umgebracht hat.«
»Ich weiß, dass er ein potentieller Kronzeuge war, aber eine Obduktion folgt einem gewissen Schema, und da haben solche Umstände keinen Einfluss. Wir finden, was wir finden, das ist alles. Die Rechtsmedizin kann auch nicht zaubern.«
»Apropos Wissenschaft«, sagte Hole und setzte sich auf das Pult. »Sie basiert doch häufig auf Hypothesen, nicht wahr? Man stellt eine Theorie auf und überprüft dann, ob sie richtig ist oder nicht. Das stimmt doch so weit, oder?«
Mia Hartvigsen schüttelte den Kopf. Nicht weil es nicht stimmte, sondern weil ihr die Richtung, die das Gespräch nahm, nicht gefiel.
»Meine Theorie«, fuhr Hole mit einem unschuldigen Lächeln fort, das ihn wie einen kleinen Jungen aussehen ließ, der seine Mutter davon zu überzeugen versuchte, ihm zu Weihnachten eine Atombombe zu schenken, »lautet, dass Asajev von einer Person getötet wurde, die genau wusste, wie Sie arbeiten und wie man vorgehen muss, damit niemand etwas findet.«
Mia trat von einem Bein aufs andere und drehte ihm die andere Schulter zu.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wie hätten Sie das gemacht, Mia?«
»Ich?«
»Sie kennen alle Tricks. Wie würden Sie versuchen, sich selbst auszutricksen?«
»Bin ich jetzt verdächtig?«
»Bis auf weiteres.«
Erst als sie die Andeutung des Lächelns auf seinen Lippen sah, registrierte sie, dass sie schon wieder auf ihn reingefallen war. Dieser gerissene Hund.
»Mordwaffe?«, fragte sie.
»Spritze«, sagte Hole.
»Aha? Warum das?«
»Hat was mit der Anästhesie zu tun.«
»Okay. Wir können so gut wie alle Stoffe nachweisen, besonders wenn wir so schnell wie in diesem Fall zur Stelle sind. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe …«
»Ja?« Er lächelte, als hätte er seinen Willen bereits bekommen. Ein verrückter Kerl. Einer dieser Menschen, bei denen man nie wusste, ob man sie lieben oder hassen sollte.
»Eine Spritze mit Luft.«
»Wie geht das?«
»Der älteste und noch immer beste Trick. Man setzt eine Spritze mit genug Luft, damit die Luftblase eine Ader verstopft. Versperrt sie dem Blut lange genug den Weg, dass vitale Organe wie das Herz oder das
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