Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
schloss die Augen und fluchte innerlich. Sie nickte dem Beamten zu, der ihr weiter durch die Bahn folgte. Als sie ohne Resultat das Ende des Wagens erreicht hatte, rief sie dem Fahrer zu, dass er die hintere Tür öffnen könne, und stieg aus.
»Und?«, fragte Katrine.
»Verschwunden. Befragt alle, ob sie ihn gesehen haben. In einer Stunde haben sie das vergessen, wenn es nicht schon jetzt aus ihren Köpfen verschwunden ist. Er ist nach wie vor ein Mann um die vierzig, etwa 1,80 groß, blaue Augen. Aber jetzt stehen die Augen etwas schräg, er hat braune, kurzgeschnittene Haare, hohe, markante Wangenknochen und schmale Lippen. Und keiner fasst die Scheibe an, auf der er mit dem Finger rumgekritzelt hat. Nehmt Fingerabdrücke und macht Bilder. Bjørn?«
»Ja?«
»Du übernimmst sämtliche Haltestellen zwischen hier und dem Frognerparken und redest mit den Leuten, die da in den umliegenden Geschäften arbeiten. Frag, ob sie eine Person gesehen haben oder kennen, auf die die Beschreibung zutrifft. Wenn Leute so früh morgens die Straßenbahn nehmen, hat das oft mit Gewohnheit zu tun. Sie fahren zur Arbeit, zur Schule, zum Training, in ein Stammcafé.«
»Wenn es so ist, haben wir ja noch eine Chance«, sagte Katrine.
»Ja, aber du musst vorsichtig sein, Bjørn. Achte darauf, dass du mit niemandem sprichst, der ihn warnen könnte. Katrine, du sorgst dafür, dass wir Leute kriegen, die morgen in dieser Straßenbahn sitzen. Und dass wir einen Mann für den Rest des Tages hier in der Bahn haben, falls Valentin wieder damit zurückfährt. Okay?«
Während Katrine und Bjørn die Streifenpolizisten in ihre Aufgaben einwiesen, ging Beate zu der Stelle der Straßenbahn, an der sie ihn gesehen hatte. Sie musterte die Scheibe. Das Kondenswasser war von den Strichen, die er auf die beschlagene Scheibe gemalt hatte, nach unten gelaufen. Es war ein sich wiederholendes Muster, ein bisschen wie eine Schmuckborte. Ein senkrechter Strich, gefolgt von einem Kreis, einem weiteren Strich und wieder einem Kreis, mehrere Reihen untereinander, die zusammen eine Art quadratische Matrix bildeten.
Das brauchte nicht wichtig zu sein.
Doch wie Harry immer sagte: »Kann sein, dass es nicht wichtig oder relevant ist, aber Bedeutung hat alles . Und wir fangen da an zu suchen, wo wir etwas sehen , da, wo Licht ist.«
Beate holte ihr Handy heraus und machte ein Foto von dem Fenster. Dann kam ihr etwas in den Sinn.
»Katrine! Komm mal her!«
Katrine hörte sie und überließ Bjørn das Briefing.
»Wie ist es heute Nacht gelaufen?«
»Gut«, sagte Katrine. »Ich habe das Kaugummi heute früh zur DNA -Analyse gebracht. Mit der Vorgangsnummer eines zu den Akten gelegten Vergewaltigungsfalls. Die Polizeimorde haben momentan natürlich oberste Priorität, sie haben mir aber versprochen, es sich so schnell wie möglich anzusehen.«
Beate nickte nachdenklich. Fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Wie schnell ist schnell? Wir können nicht stillschweigend dabei zusehen, wie ein Beweisstück, das Täter- DNA enthalten könnte, ganz hinten in der Warteschleife landet, nur damit uns die Ehre zuteilwird.«
Katrine stemmte eine Hand in die Hüfte und sah mit zusammengekniffenen Augen zu Bjørn, der den Polizisten gestikulierend etwas erklärte. »Ich kenne eine der Frauen im Labor«, log sie. »Ich kann versuchen, sie anzurufen und ein bisschen Druck zu machen.«
Beate sah sie an. Zögerte. Nickte.
»Und du bist dir sicher, dass es nicht bloß Wunschdenken war, vielleicht wolltest du nur, dass das Valentin Gjertsen war?«, fragte Ståle Aune. Er hatte sich ans Fenster seines Büros gestellt und starrte nach unten auf die belebte Straße. Auf die Menschen, die hin und her hasteten. Menschen, die Valentin Gjertsen sein konnten. »Solche optischen Halluzinationen sind bei Schlafmangel nicht ungewöhnlich. Wie viele Stunden hast du in den letzten achtundvierzig Stunden geschlafen?«
»Ich werd sie mal zählen«, sagte Beate auf eine Weise, die Ståle verstehen ließ, dass dies überhaupt nicht nötig war. »Ich habe dich angerufen, weil er was auf die Innenseite der Scheibe gemalt hat. Hast du die MMS gekriegt?«
»Ja«, sagte Aune. Er hatte gerade die Therapiesitzung begonnen, als die MMS von Beate ihm aus der geöffneten Schreibtischschublade entgegengestrahlt hatte.
Sieh dir das Bild an. Es eilt, ich rufe dich an.
Und er hatte eine fast schon perverse Befriedigung verspürt, als er in das verblüffte Gesicht von Paul Stavnes geblickt und
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