Koma
interessant. Also, Susan, ich kann Ihnen nichts versprechen, aber ich werde mich der Sache annehmen. Sehr beliebt sind Sie hier allerdings nicht, vor allem nicht in der Anästhesie und auf der Inneren.«
»Das weiß ich, und ich bin Ihnen dankbar für alles, was Sie für mich tun. Noch etwas: Wäre es Ihnen möglich, für mich einen Besuch im Jefferson-Institut zu arrangieren? Ich würde furchtbar gern den Patienten Berman noch einmal besuchen.«
»Also, ich muß schon sagen, junge Dame, Sie haben recht ausgefallene Wünsche. Aber ich will sehen, was ich tun kann. Das Jefferson untersteht nicht der Hochschule. Es wurde mit öffentlichen Mitteln gebaut, genauer gesagt, vom Gesundheitsministerium finanziert, aber die Unterhaltung ist einer privaten medizinischen Betriebsorganisation übertragen worden, auf die ich keinen Einfluß habe. Trotzdem, ich werd’s versuchen. Rufen Sie mich morgen früh nach neun Uhr an, und ich werde Ihnen sagen, was ich ausrichten konnte.«
Susan legte auf und biß sich, in Gedanken versunken, auf die schmerzende Unterlippe. In immer schnellerer Folge ließ sie die Ereignisse der letzten Tage an sich vorbeiziehen. Hatte sie irgend etwas, eine mögliche Querverbindung übersehen?
Schließlich stand sie auf und holte die Schwesterntracht hervor. Dann fönte sie ihr Haar. Eine Viertelstunde später betrachtete sie sich im Spiegel. Die Tracht paßte ihr einigermaßen. Wieder nahm sie das Foto von ihrem Bruder zur Hand. Wenigstens drohte ihm keine unmittelbare Gefahr. Es waren noch Ferien, und die Familie hielt sich bis Ende der Woche zum Skilaufen in Aspen auf.
Mittwoch
25. Februar
19 Uhr 15
Susan gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Sie war in Gefahr und mußte jede nur mögliche Umsicht aufbieten. Wer immer hinter der Drohung stecken mochte, ging mit Sicherheit von der Erwartung aus, sie würde jetzt in Höllenangst leben und sich, wenigstens vorerst, dementsprechend verhalten. Und eben deshalb, schätzte Susan, würde sie sich etwa achtundvierzig Stunden lang relativ frei bewegen können. Was danach kam, war ungewiß.
Ein wenig schmeichelte es ihr sogar, daß jemand sie einer solchen Drohung für wert erachtete. Bedeutete dies, daß sie auf der richtigen Spur war? Am Ende hatte sie bereits mehr Antworten gefunden, als sie ahnte. Sorgfältig ging sie Seite für Seite in ihrem Notizbuch durch, las noch einmal alle Eintragungen. Sie rekapitulierte die bisher bekannten Fakten über Koma und seine Ursachen, unterstrich die Titel der Artikel, die sie noch lesen mußte. Als nächstes machte sie sich abermals über die ausführlichen Auszüge aus Nancy Greenlys Krankenunterlagen her sowie über die Anmerkungen zu den zwei Fällen von Atemstillstand. Die Antwort mußte irgendwo dort vergraben liegen, doch fehlte ihr noch der Schlüssel. Vor allem brauchte sie mehr Fakten, mußte unbedingt die Krankenblätter einsehen, die McLeary unter Verschluß hielt.
Um Viertel nach sieben war sie zum Aufbruch bereit. Vorsichtig lugte sie aus dem Fenster. Auf dem Parkplatz war keine Menschenseele. Sie zog die Gardinen zu, ließ aber das Licht brennen, als sie die Tür hinter sich abschloß. Im Flur blieb sie einen Moment stehen. Dann besann sie sich auf einschlägige Kinoerfahrungen, rollte ein Stück Papier zu einer kleinen Kugel zusammen und klemmte sie dicht über dem Boden zwischen Tür und Türrahmen.
In den Keller des Wohnheims mündete ein Tunnel, der zum Fakultätsgebäude für Anatomie und Pathologie führte. Durch den unterirdischen Gang liefen Heizungsrohre und elektrische Leitungen. Susan und ihre Kommilitonen machten sich den Tunnel vor allem bei schlechtem Wetter zunutze. Jetzt wählte Susan diesen Weg, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Sie hatte keine Ahnung, ob sie tatsächlich beschattet wurde, aber Vorsicht konnte nichts schaden. Von der Anatomie nahm Susan den Verbindungsgang zum Verwaltungsgebäude, das, wie sie zu ihrer Erleichterung feststellte, nicht abgeschlossen war. Auf dem Umweg über die medizinische Bibliothek gelangte sie schließlich ins Freie, und auf der Huntington Avenue erwischte sie ein Taxi. Nach einem halben Kilometer bat sie den Fahrer, zu wenden und zurückzufahren. Um nicht erkannt zu werden, schlug sie den Mantelkragen hoch und versuchte gleichzeitig herauszufinden, ob jemand ihr folgte. Sie konnte nichts Verdächtiges entdecken. Als sie die Stelle, an der sie eingestiegen war, wieder passiert hatten, machte sie es sich bequem und nannte als
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