Koma
hängte die Schwesterntracht in einen offenen Schrank und zog einen Operationskittel an.
Wieder in der Halle, betrachtete Susan aufmerksam die großen Doppelschwingtüren, die zu den OPs führten. Neben dem rechten Türflügel warnte ein großes Schild: »Operationssäle – Betreten für Unbefugte verboten.« Das Hauptpult befand sich unmittelbar neben der Tür. Die Schwester war dort immer noch beschäftigt. Susan hatte keine Ahnung, ob sie ihr Schwierigkeiten machen würde, wenn sie durch die Tür wollte.
Um das Terrain erst einmal zu sondieren, ging Susan mehrmals die große Halle auf und ab, stets in der Hoffnung, die Schwester würde ihre Arbeit beenden und verschwinden. Aber sie sah nicht einmal auf. Susan überlegte krampfhaft, welche Ausrede sie gebrauchen könnte, falls das Mädchen sie ansprechen sollte. Aber es fiel ihr einfach nichts ein. Immerhin war es fast Mitternacht, und Susan mußte schon eine überzeugende Story parat haben, um ihre Anwesenheit im OP-Bereich zu erklären.
Schließlich wagte sie es, obwohl ihr keinerlei Alibi eingefallen war. Sie könnte höchstens sagen, sie wollte nachsehen, wie weit die in Saal 20 waren, oder sie sollte für das Labor Gewebeproben holen. Susan ging, ohne die Schwester am Pult anzusehen, auf die Tür zu. Nur ein paar Schritte lagen noch vor ihr. Sie streckte den Arm aus, um den rechten Türflügel aufzustoßen.
»He, Moment mal.«
Susan erstarrte. Jetzt war ihre Enttarnung unausweichlich. Langsam drehte sie sich zu dem Mädchen um, auf alles gefaßt.
»Sie haben Ihre Ableiterstiefel vergessen.«
Susan sah auf ihre Schuhe hinunter. Erst allmählich ging ihr auf, was die Schwester von ihr wollte. Sie fühlte grenzenlose Erleichterung.
»Verdammt, man könnte meinen, ich wäre zum erstenmal hier«, sagte sie.
Die Schwester steckte schon wieder mit dem Kopf in ihren Plänen. »Passiert mir auch, daß ich die blöden Dinger vergesse«, murmelte sie.
Susan ging zu einem Stahlschrank an der Wand. Ganz unten in einem Pappkarton lagen die Ableiterstiefel. Sie schützten gegen statische Elektrizität, was in Räumen, wo leicht zündbare Gase ausfließen konnten, eine unentbehrliche Vorsichtsmaßnahme darstellte. Susan zog die Stiefel über, wie Carpin es ihr bei ihrem ersten Besuch im OP zwei Tage zuvor gezeigt hatte. Die schwarzen Leitbänder steckte sie in ihre Schuhe. Als sie die Schwingtür diesmal aufstieß, blickte die Schwester am Pult nicht einmal hoch. Das Memorial war viel zu groß, als daß neue Gesichter auffallen konnten.
Die Operationssäle lagen zu beiden Seiten eines Flurs, der die Form eines großen eckigen U hatte. In der Mitte befanden sich der Utensilienraum, der Warteraum für die Patienten und die Anästhesie-Kammern. Der Eingang war am Querbalken des U, der Aufwachsaal am linken Arm, den Fahrstühlen am nächsten gelegen. Susan fand heraus, daß der OP Nummer 8 am rechten Arm auf der Außenseite lag. Nummer 20, wo immer noch operiert wurde, befand sich in der entgegengesetzten Richtung. So begegnete Susan auf dem Weg zu Saal 8 niemandem. An der Tür blieb sie stehen und blickte durch die Scheibe. Sie fand keinen Unterschied zu Nummer 18, wo Nileszusammengeklappt war. Die Wände waren gekachelt, der Fußboden bestand aus gesprenkeltem Vinyl. Obwohl die Lichter ausgeschaltet waren, konnte Susan die Beleuchtungstrommeln und unmittelbar darunter den Operationstisch erkennen. Sie öffnete die Tür und knipste das Licht an.
Ohne ein spezifisches Ziel zu haben, wanderte Susan durch den Saal und musterte alle größeren Objekte. Dann machte sie sich systematisch an die Details. Sie fand die Stutzen der Gasleitungen. Ihr fiel auf, daß der Schraubverschluß für die Sauerstoffzufuhr grün war, der Anschlußhahn für Lachgas dagegen blau und anders konstruiert, um jede Verwechslungsmöglichkeit auszuschließen. Ein dritter Stutzen war weder gekennzeichnet noch besonders eingefärbt. Susan nahm an, es handele sich um die Druckluftleitung. Außerdem stieß sie auf die Absaugleitung, die ein entsprechendes Schild trug und ein großes Steuerventil hatte.
An der hinteren Wand standen kleine Stahlschränke mit verschiedenen Utensilien und ein Pult für die Assistenzschwester. An der Wand rechts befand sich ein Röntgen-Lichtschirm. Über der Tür hing eine große elektrische Uhr. Der rote Sekundenzeiger glitt geräuschlos über das Zifferblatt. Eine zweite Tür führte in eine kleine Utensilienkammer mit den Sterilisiertrommeln und anderem Gerät.
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