Koma
Anästhesist dem Patienten Succinylcholin gegeben hat, beobachtet er ihn unablässig. Er beatmet ihn sogar. Sollte einmal zuviel verabreicht worden sein, heißt das nur, daß der Patient länger beatmet werden muß, so lange, bis er die Droge absorbiert hat. Der Lähmungseffekt läßt sich vollständig aufheben. Und außerdem, überleg doch mal: Wenn im Krankenhaus irgend jemand so was mit kriminellen Absichten täte, müßten bei diesem Verfahren ja alle Anästhesisten unter einer Decke stecken, und das ist doch absurd! Vor allem muß man sich klarmachen, daß Anästhesist und Chirurg die ganze Zeit über engstens zusammenarbeiten. Der Chirurg sieht doch, wie rot das Blut ist, und weiß, ob ausreichend Sauerstoff verabreicht wird. Es wäre absolut unmöglich, ohne Wissen eines der beiden den physiologischen Zustand des Patienten zu verändern. Solange genügend Sauerstoff im Blut ist, fließt es hellrot. Wenn der Sauerstoffpegel zu niedrig wird, sieht das Blut dunkelbraun aus und bekommt einen bläulichen Schimmer. Und unterdessen beatmet der Anästhesist den Patienten, überprüft fortwährend Puls und Blutdruck, beobachtet den Herzmonitor. Nein, Susan, für deine Theorie der unsauberen Machenschaften fehlt dir außer dem Warum auch das Wer und das Wie. Du kannst ja nicht mal sicher sein, daß es überhaupt ein Opfer gibt.«
»O doch, Mark. Ich bin einer Sache auf der Spur, soviel ist klar. Möglich, daß es sich nicht gerade um eine neuartige Krankheit handelt, aber irgendwas ist im Busch. Woher kommen die Narkosegase, mit denen die Anästhesisten arbeiten?«
»Das ist unterschiedlich. Halothan aus Kanistern, wie Äther. Die kommen in flüssigem Zustand und werden verdunstet, wenn man sie im OP braucht. Lachgas, Sauerstoff und Druckluft laufen über eine zentrale Zufuhr und werden in die OPs geleitet. Für Notfälle gibt es Reserveflaschen mit Sauerstoff und Lachgas in den OPs. Hör mal, Susan, ich hab’ noch eine Stationsrunde, dann bin ich fertig. Wie wär’s mit einem Drink in meiner Wohnung?«
»Heute abend nicht, Mark. Ich brauche zur Abwechslung mal meinen Schlaf, und außerdem hab’ ich noch eine Menge zu tun. Aber trotzdem vielen Dank. Ich muß noch die Blätter hier in ihr Versteck zurückbringen. Und danach hab’ ich vor, mich mal im OP Nummer acht etwas umzusehen.«
»Susan, wenn du Wert auf meine Meinung legst, dann wird es Zeit, daß du hier aus dem Krankenhaus verschwindest. Und zwar, bevor du wirklich in ernste Schwierigkeiten kommst.«
»Sie haben ein Recht auf Ihre Meinung, Herr Doktor. Ihr Pech, daß diese Patientin nicht gewillt ist, die Verordnungen zu befolgen.«
»Meiner Meinung nach treibst du es zu weit.«
»So? Tu ich das? Na schön, ich weiß zwar, wie du ganz richtig sagst, nicht, wer dahintersteckt, aber ich habe eine Reihe von Verdächtigen, die …«
»Klar hast du die«, fiel Bellows ein. »Soll ich raten, oder klärst du mich auf?«
»Harris, Nelson, McLeary, Oren.«
»Du hast ’ne Meise!«
»Die benehmen sich alle verdächtig und wollen mich hier raus haben.«
»So? Tu ich das? Na schön, ich weiß zwar, wie du ganz richtig sie dafür am Ende andere Gründe haben als kriminelles Schuldbewußtsein?«
Mittwoch
25. Februar
23 Uhr 25
Susan fühlte sich wesentlich wohler in ihrer Haut, als sie die Krankenblätter wieder in McLearys Schrankversteck deponiert hatte. Zugleich war sie enttäuscht. Sie hatte sich eine Menge von den Unterlagen versprochen und alles darangesetzt, um sie in die Hände zu bekommen, und nun war sie doch keinen Schritt weiter. Zwar hatte sie eine Menge Daten und Fakten gesammelt, aber es gab keine Querverbindung, keinen gemeinsamen Nenner. Die Auswahl der Fälle erschien rein zufällig.
Der Fahrstuhl hielt, und Susan betrat den geheiligten Boden der OP-Etage. In Saal 20 wurde immer noch operiert: ein durchgebrochenes Unterleibsaneurysma. Der Patient war über die Notaufnahme eingeliefert worden, und die Operation dauerte bereits mehr als acht Stunden, was nicht eben ein gutes Zeichen war. Davon abgesehen herrschte Abendfrieden in den OPs. Ein paar Angestellte säuberten die Böden oder stapelten frische Leinentücher in den Utensilienraum. Hinter dem Hauptpult saß eine Schwester und war damit beschäftigt, die letzten Fälle in den Plan für den kommenden Tag einzufügen.
Susans Schwesterntracht tat immer noch gute Dienste. Die wenigen Leute in der Halle nahmen von ihr nicht die geringste Notiz. Sie ging geradewegs in den Umkleideraum,
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