Koma
einsetzende Flimmern. »Reid, Mann, jetzt sind Sie wieder an der Reihe. Auf geht’s, los!«
Um Viertel nach eins hatte Nancy Greenly einundzwanzig Schockbehandlungen hinter sich. Jedesmal folgte für kurze Zeit ein ziemlich normaler Herzrhythmus, und jedesmal fing gleich darauf das Elend mit den Extrasystolen wieder an. Um ein Uhr sechzehn klingelte in der Intensivstation das Telefon. Das Labor meldete sich mit den Elektrolytewerten. Alles normal, bis auf den Kaliumspiegel. Der war extrem niedrig, nur 2,8 Milli-Äquivalent je Liter.
Eine der Schwestern legte Bellows die Werte vor.
»Großer Gott: zwei-Komma-acht! Verdammt noch mal, wie konnte das passieren? Jetzt haben wir wenigstens eine Antwort. Na schön, geben wir ihr Kalium. Tut achtzig mÄ in den Tropf und erhöht bis auf zweihundert Kubik pro Stunde.«
Als wollte Nancy Greenly auf diese Anordnung antworten, kündigte sich der zweiundzwanzigste Herzstillstand an. Reid massierte sofort, Bellows brachte die Pole in Stellung. Das Kalium kam in die Infusion.
Susan war von der Wiederbelebungstechnik so gefangen, daß sie kaum etwas anderes wahrnahm. So hätte sie fast ihren Namen in der Hausansage überhört. Der Lautsprecher am Zentralpult gab fortwährend Mitteilungen und Aufrufe durch. Für Susan gehörte das schon zum allgemeinen Hintergrundgeräusch. Erst ihr Name ließ sie aufhorchen. Ihr Name und der Hausanschluß 381.
Widerwillig verließ sie ihren Beobachtungsposten und ging zum Telefon.
Anschluß 381 war das Telefon des »Aufwachsaals« für frisch operierte Patienten. Susan überraschte es, daß jemand von dort nach ihr verlangte. Sie meldete sich mit Susan Wheeler, nicht Dr. Wheeler. Sie wäre ausgerufen worden. Der Pfleger bat sie, einen Moment am Apparat zu bleiben. Kurz darauf meldete er sich wieder.
»Hier wird eine arterielle Blutentnahme gebraucht. Für die Gaswerte.«
»Gaswerte?«
»Genau. Sauerstoff, Kohlendioxyd, außerdem Säurespiegel.«
»Woher haben Sie meinen Namen?« Susan malträtierte die Telefonschnur und hoffte, daß es sich um einen Irrtum handelte.
»Ich tu’ nur, was mir aufgetragen wird. Ihr Name steht auf der Liste.« Am anderen Ende wurde aufgelegt. Doch Susan hätte auch gar nichts mehr zu sagen gehabt. Sie ging zurück zu Nancy Greenlys Bett. Bellows legte schon wieder die Pole an, und der Schock fuhr abermals durch den Körper der Patientin, hilflos schlugen die Arme wie zuckende Flügel. Der Vorgang wirkte gleichzeitig dramatisch und im höchsten Grad mitleiderregend. Wieder zeigte der Monitor ein relativ normales Bild.
»Puls gut«, meldete Cartwright.
»Ich glaube, das Kalium wirkt schon. Sie hält sich jetzt etwas besser.« Bellows’ Blick klebte am Bildschirm.
Alle sahen wie gebannt hin. In das Schweigen hinein sagte Susan: »Dr. Bellows, ich soll im Aufwachsaal einem Patienten arteriell Blut abnehmen.«
»Viel Spaß.« Bellows hörte gar nicht richtig zu. Er wandte sich an Miss Shergood. »Wo, verdammt noch mal, stecken die Laborassistenten? Wenn man sie braucht, sind sie weg. Aber wehe, man will operieren. Dann stoßen sie wie die Geier auf einen runter, kommen mit irgendeinem komischen Wert, und der Patient bleibt in seinem Bettchen.«
Cartwright und Reid hielten ein kurzes Lachen für geboten.
Susan versuchte es noch einmal. »Dr. Bellows, Sie verstehen nicht, was ich sagen will. Ich hab’ noch nie arteriell Blut abgenommen. Und hab’ es noch nie machen sehen.«
Bellows zwang seinen Blick vom Monitor und sah Susan an. »Lieber Himmel, als ob ich nicht schon genug am Hals hätte! Das ist wie mit venösem Blut, nur eben aus der Arterie. Was haben Sie eigentlich in den zwei Jahren Uni gelernt?«
Susan fühlte, daß sie rot wurde. Sie öffnete den Mund zur Verteidigung.
»Schon gut, schon gut«, sagte Bellows schnell. »Cartwright, gehen Sie mit Susan rüber.«
»Ich hab’ doch die Kropfoperation, bei der ich assistieren soll. Die fängt in fünf Minuten an.« Cartwright sah auf die Uhr.
»Scheiße!« kommentierte Bellows. »Okay, Dr. Wheeler. Ich geh’ mit Ihnen rüber und zeig’ Ihnen das. Aber erst, wenn sich hier alles beruhigt hat. Sieht etwas besser aus, die Sache, muß man schon zugeben.« Bellows wandte sich an Reid. »Schicken Sie noch mal Blut ins Labor. Sollen den neuen Kaliumwert messen. Mal sehn, wie wir dran sind. Vielleicht sind wir übern Berg.«
Beim Warten ließ sich Susan Bellows letzte Worte durch den Kopf gehen. Für ihn hieß es »wir« statt: »Nancy Greenly ist
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