Komm schon
Überzeugung gelangt, dass sie sich wegen Spencers Geheimnis nicht den Kopf zerbrechen mussten.
»So kann man sich täuschen«, brummte sie. Sophie hasste es, wenn sie sich täuschte, denn das bedeutete, dass sie die Lage falsch eingeschätzt hatte - und das wiederum versetzte sie stets in Panik. In solchen Situationen half nur eines: Sie musste schleunigst wieder die Oberhand bekommen.
Nur, wie? Ihre Spezialität war es, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Doch diesmal konnte sich Sophie ausnahmsweise nicht hinter Büchern oder To-Do-Listen verschanzen, konnte nicht wie üblich ihre Schwestern an die Front schicken, während sie im Hintergrund alles wieder ins Lot brachte. Denn Annabelle war im Mutterschaftsurlaub bei ihrem Töchterchen Sydney, und Micki genoss ihre Flitterwochen mit Damian Füller, dem Ex-Baseball-Star, den sie kürzlich geheiratet hatte.
Zu allem Überfluss hatte sich Raine, die Empfangsdame, krankgemeldet, und das Zeitarbeitsunternehmen hatte noch immer keine Vertretung geschickt. Pausenlos klingelten die Telefone.
Sophie musste das Chaos ganz allein bewältigen und den Medienrummel, der dieser Nachricht zweifellos folgen würde. Sie warf einen Blick auf die blinkenden Lichter der Telefonzentrale. Zweifellos jede Menge Journalisten und überraschte Klienten, die wissen wollten, ob an den Gerüchten etwas dran war oder nicht. Sophie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass sich die von Athletes Only vertretenen Sportler wegen Spencers sexueller Orientierung gegen ihn wenden würden. Die Gefühle ihrer Familie gegenüber Spencer hatten sich jedenfalls kein bisschen verändert. Trotzdem würde es vermutlich einige Zeit und Anstrengungen erfordern, bis sich seine Klienten an den Gedanken gewöhnt hatten - so lief das nun einmal, insbesondere bei Sportlern.
Aufruhr und Umwälzungen waren für Sophie im Moment beileibe nichts Neues. In den vergangenen Monaten hatte sich ihr Leben drastisch verändert erst die Hochzeiten ihrer beiden Schwestern, dann das späte Happy End zwischen Lola und Onkel Yank. Zugegeben, Lola hatte ihr die Sorge um Yanks schleichende Erblindung aufgrund einer Makuladegeneration abgenommen und sich nach seiner Hüftoperation zudem rührend um seine Rekonvaleszenz bemüht.
Aber seit sich Sophie nicht mehr um die diversen Probleme anderer kümmern musste, wusste sie einfach nichts mit sich anzufangen. Und dann war da noch die Zusammenlegung der Agenturen von Spencer und Onkel Yank ... Ihr ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden. Von Normalität konnte keine Rede sein.
Es war vorherzusehen, dass dieser Skandal um Spencer die Athleten in helle Aufregung versetzen würde. Nun, auch sie würden sich wie Sophie daran gewöhnen müssen, dass manche Dinge sich änderten.
Als könnte man das kurzerhand erzwingen. Sie schüttelte den Kopf. Wenn die Anpassung an neue Umstände so einfach wäre, würde sie sich wohl nicht derart hilflos und verloren fühlen.
Sie sah auf die Uhr. Schon zehn? Wo um Himmels willen steckte bloß Spencer? Normalerweise erschien er stets um Punkt neun im Büro. Das war eine der wenigen Gesetzmäßigkeiten, auf die Sophie stets zählen konnte, auch wenn die ganze Welt plötzlich kopfstand.
Spencers verlässliche, bodenständige Art war eine der Eigenschaften, die Sophie besonders an ihm schätzte. Er hatte wie sie die Angewohnheit, in allen Bereichen des Lebens systematisch vorzugehen. Ihre Beziehung zu Spencer war seit je von Aufmerksamkeit und Respekt geprägt gewesen, wie man es sonst nur zwischen Vätern und Töchtern fand. Als Sandwichkind war ihr beides in der eigenen Familie mitunter verwehrt geblieben, was teils an Annabeiles schwungvoller Lebhaftigkeit gelegen hatte und teils daran, dass Micki und Onkel Yank in puncto Sport voll auf einer Wellenlänge waren.
»Miss Jordan?«
Sophie sah hoch. Vor ihr stand eine brünette Frau Anfang zwanzig, die, ihrer zaghaften Miene nach zu urteilen, über höchst spärliche Berufserfahrung verfügte .
»Ja, ich bin Sophie Jordan. Ich hoffe, Sie kommen von der Zeitarbeitsfirma?«
Die junge Frau nickte. »Nicki Fielding. Heute ist mein allererster Tag.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sophie wäre eine erfahrene Empfangsdame bedeutend lieber gewesen, doch sie ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken. »Im Augenblick müssen Sie nichts weiter tun als Anrufe entgegenzunehmen und ›Kein Kommentar‹ zu sagen, bis wir in der Lage sind, eine Erklärung abzugeben.«
»Keine
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