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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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nervende Hamster-Rattern am Einschlafen hindert, "ist überhaupt nur denkbar durch die hundertprozentige Unparteilichkeit des Rettungswesens. Das Rettungswesen muß neutral sein. Nur so können wir in den Kriegen die Verletzten beider Seiten betreuen. Hundertprozentige Neutralität.
Tutti fratelli
ist das Motto von Henri Dunant. Alle sind Brüder."
    "Jaja. Sonst würden uns ja die Kriegsparteien gar nicht hineinlassen in die ganzen Sperrzonen."
    "So ist es. Auf der ganzen Welt. Angola, Mozambique, wo du hinschaust. Da darf es keine Diplomatie und kein gar nichts geben. Nur hundertprozentige Neutralität."
    Es ist zwar jeden zweiten Tag in der Zeitung gestanden, daß es nicht so weit her war mit der Rettungsneutralität. Aber der Brenner hat lieber nichts gesagt. Chefleute brauchen das manchmal, daß sie ihren Sermon herunterbeten, an den sie selber nicht einmal glauben. Und der Brenner hat sich gedacht, der Junior will eben nicht zugeben, daß ihn der Tod vom Bimbo so mitnimmt.
    Aber dann hat der Junior den Brenner doch noch überrascht, wie er auf einmal konkret geworden ist: "Sie haben Matura, Sie müssen wissen, was 1934 gewesen ist."
    Wo sind wir denn da eigentlich, hat sich der Brenner zuerst innerlich wahnsinnig aufgeregt. In der Schule oder was? Werde ich da Jahreszahlen abgeprüft oder wie?
    Aber wenn du dich aufregst, schüttet der Körper gewisse Substanzen aus, und mit diesen Substanzen funktioniert auch das Gedächtnis besser.
    "Bürgerkrieg in Österreich", hat der Brenner wie aus der Pistole geschossen geantwortet.
    Aber statt daß der Junior ihn gelobt hätte, hat er so betroffen geschaut, als wäre die Antwort falsch. Es war aber nicht die Antwort vom Brenner, was ihn bedrückt hat. Es war das, was dahintergesteckt ist: "Beim Bürgerkrieg haben wir in Wien unsere Neutralität verloren. Die Faschisten haben den Rettungsbund aufgelöst. Und dann haben wir die verwundeten Arbeiter nicht versorgt. Das ist ein fürchterlicher Fehler gewesen. Das war ein Wahnsinn."
    "Heute haben die Arbeiter eh wieder ihren eigenen Verein.
    Der Rettungsbund heißt doch eigentlich Arbeiterrettungs -"
    "Das ist ja der Wahnsinn!" hat der Junior den Brenner auf einmal angebrüllt. Eigentlich müßte ich sagen, angeschnauzt: Weil in der Wut hat sich der Schnauzbart wieder aufgestellt, den der Junior zuerst so philosophisch vom Kopf hängen hat lassen.
    Und würde mich nicht wundern, wenn da auch ein bißchen das Adrenalin dahintersteckt, daß das vielleicht ein bißchen wie beim Substral-Tag die Haarwurzeln stimuliert. "Das ist ja gerade der Wahnsinn! Das ist ja der ganze Wahnsinn, Brenner!"
    Die Arbeiter würden ja heute sowieso nicht mehr leben. Da hätte der Brenner ruhig ein bißchen mitdenken dürfen.
    Und dann hat der Junior noch ganz leise gesagt: "Und unser Verein wird auch nicht mehr lange leben, wenn der Rettungsbund so weitermacht."
    Der Brenner hat nichts dazu gesagt.
    "Sagen Sie irgendwas."
    "Was soll man da sagen?"
    "Ich habe gestern zwei meiner tüchtigsten Männer verloren, und das ist alles, was Ihnen dazu einfällt?"
    Schön langsam ist er ein bißchen aggressiver geworden. Am Anfang philosophisch, aber schön langsam ein bißchen aggressiver. Jetzt hat der Brenner gewußt, daß er schön langsam das herauslassen wird, was er eigentlich schon die ganze Zeit sagen will.
    "Der eine umgebracht. Und der andere verhaftet", hat der Junior geseufzt und seine Brille heruntergenommen. Es hat überhaupt nicht zu dem sportlichen Menschen gepaßt, daß er so eine komische Lesebrille getragen hat. Genausowenig wie das silberne Kettchen, das er immer am rechten Handgelenk getragen hat. Aber so gesehen hat der ganze Schreibtisch nicht zu ihm gepaßt. Der Junior war ja bekannt dafür, daß er am liebsten immer noch selber ausgefahren ist. Und dann natürlich nicht Lese-, sondern nur Sonnenbrille.
    "Das ist alles, was Ihnen dazu einfällt?" hat er noch einmal unter der Hand, mit der er seine Nasenwurzel massiert hat, herausgemurmelt.
    "Vielleicht ist es der Lanz ja gar nicht gewesen. Ich könnte ja versuchen, ob ich was herausfinde."
    Der Junior hat müde den Kopf geschüttelt: "Hören Sie mir überhaupt zu, Brenner?"
    "Sie haben keine Zweifel, daß der Lanz es gewesen ist?" hat sich der Brenner ein bißchen dumm gestellt, weil jetzt ist er doch neugierig gewesen, ob der Junior mit seinen Verdächtigungen auf den Rettungsbund vielleicht noch ein bißchen konkreter wird.
    "Ich weiß, daß er es nicht gewesen ist", hat der Junior

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