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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Tod."
    "Wie bitte?"
    "
Komm, süßer Tod
heißt das Kirchenlied."
    Das kennst du bestimmt aus der Schulzeit, wenn man das erste Mal für das geometrische Zeichnen einen Zirkel bekommt.
    Da gibt es nichts Lustigeres, als dem Schüler vor dir mitten in der Schulstunde ein bißchen den Zirkel in den Arsch zu rammen. Genau so ist jetzt die Nicole aufgehüpft, wie es der Brenner zuletzt gesehen hat, wie er im Puntigamer Gymnasium den Walter Neuhold mit dem Zirkel sekkiert hat. Praktisch Tarantel.
    Die Nicole natürlich nichts wie weg vom Brenner seinem Schlüsselbein und kerzengerade Sitzposition. "Du schaust zu, wie ich mir einen Erdbeerdaiquiri nach dem anderen bestelle, und pfeifst jedesmal dazu: Komm, süßer Tod? Glaubst du, daß ich mir das gefallen lasse?"
    "Ich hab es ja selber nicht gemerkt." "Du saufst ja auch ein Bier nach dem anderen. Da schau ich mir an, bei wem von uns zwei der Tod vorher kommt."
    "Sicher bei mir."
    "Wieso willst du das jetzt schon wieder so sicher wissen?"
    "Weil du es dir sonst nicht anschauen kannst."
    "Sehr witzig. Du hältst dich wohl für besonders gescheit!"
    Der Brenner hat bemerkt, daß die Nicole langsam ein bißchen explosiv wird. Deshalb hat er versucht, etwas Beruhigendes zu sagen, und der Nicole ganz ehrlich erzählt, daß ihm das Lied nicht mehr aus dem Kopf geht, seit er die Klara getroffen hat.
    Aber die Ganzehrlich-Methode ist oft nicht ganz das richtige Rezept, wenn man eine Explosion verhindern will.
    Und wie er gesehen hat, daß sich die Nicole-Augen in dem Moment, wo er "Klara" sagt, regelrecht verfärben, ist es schon zu spät gewesen. "Ich glaub, daß du den Stenzl umgebracht hast", hat sie nur noch gesagt. "Und das melde ich jetzt der Polizei."
    Und aus. Der Brenner war froh, wie die Nicole bei der Tür draußen gewesen ist. Die höhnischen Grinser von den Rettungsbündlern haben ihm nichts ausgemacht. Eher noch, daß ihm die steinernen Gesichter von den beiden Betonarbeitern ein bißchen zu denken gegeben haben. Kurz hat er überlegt, ob er sie fragen soll, wo ihre Chefs hin verschwunden sind. Aber dann ist er doch wieder in Gedanken versunken.
    Eigentlich war es gar kein Kirchenlied, was ihm die Klara damals aufgenommen hat. Eigentlich hat das Passion geheißen, ist dem Brenner jetzt wieder eingefallen. Und er hat sich überlegt, was wohl die Nicole gesagt hätte, wenn er statt "Kirchenlied" gesagt hätte "Passion". Irgendein Blödsinn wäre ihr schon eingefallen.
    Wie ihm die Klara damals im Gymnasium das Lied aufgenommen hat, hat es ihm sogar gefallen. Obwohl sein persönlicher Geschmack damals: nur Jimi Hendrix. Und du wirst lachen, Bach und Jimi Hendrix gar nicht so verschieden.
    Jimi Hendrix immer die Wiederholungen und Bach auch immer die Wiederholungen. Das geht immer so dahin und dahin, und wenn du zufällig gerade siebzehn bist, schwebst du mir nichts, dir nichts auf einer Wolke.
    Aber natürlich, das war nur dem Brenner seine Sichtweise.
    Die Klara ist schon mehr die Kennerin gewesen, und Bach mit der Fuge und alles.
    Aber "Komm, süßer Tod", das ist schon bei der Klara auch mehr die Pubertät gewesen als die Kennerschaft, sprich: alles immer mit Tod und ding. Weil wenn du heute siebzehn bist, dann hat der Tod eine gewisse Süße. Mit siebzehn bist du ja noch unsterblich, aber weil das Leben oft bitter ist mit siebzehn, denkst du dir: der Tod eigentlich süß. Und da ist eben der Tod ein großer Tod, aus dieser gewissen Puntigamer Stimmung heraus. Aber wenn du mit fünfzig zur Strahlentherapie fährst, Tod nur Scheiße.
    Ich weiß jetzt nicht, ist der Brenner so tief in diesen Gedanken versunken, oder ist er wirklich ein bißchen eingeschlafen. Und Wunder wäre es keines. Nach drei Wochen Durcharbeiten haben ihn die zwei Bier ziemlich müde gemacht. Jedenfalls sind auf einmal die pokernden Rettungsbündler und die Watzek-Beton-Fahrer weg gewesen, und er war allein mit der Lanz Angelika.
    "Daß man dich wieder einmal sieht", hat die Angelika gesagt.
    "Ich versuche schon ein paar Tage, dich zu erreichen."
    "Ich bin nicht soviel daheim in letzter Zeit."
    "Ich weiß."
    "Mein Vater hat vorgestern gestanden."
    Die Angelika hat eine silberne Plastikbluse und eine glänzende schwarze Plastikhose angehabt. Und die Schnalle von ihrem Gürtel ist aus goldenen Buchstaben gewesen: ESCAPADE, praktisch Ausschweifung.
    "Das hab ich gehört", hat der Brenner gesagt.
    "Das ist alles, was dir dazu einfällt?" hat die Angelika noch geglaubt, sie ist es, die hier forsch sein

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