Komm, suesser Tod
"Brenner, kommen Sie in die Funkzentrale!"
Dienstlich haben sie sich ja siezen müssen, besonders am Funk, weil internationale Funkregeln und alles. Und Sprechanlage natürlich schon ein bißchen wie Funk.
Normalerweise hat man sich nicht gefreut, wenn man in die Funkzentrale zitiert worden ist. Die Kollegen in der Funkzentrale waren ein bißchen, wie soll ich sagen: militärischer als das Militär.
Aber heute war der Brenner froh um die Abwechslung. Wie der fette Buttinger ihn am Überwachungsbildschirm gesehen hat, hat er ihm gleich die Tür aufgesummt, und dann hat der Brenner ihn schon gehört: "Brenner! Fahrerwechsel! Der Junior braucht den Kollegen Groß als Fahrer."
Weil offiziell hat der Bimbo immer noch Groß geheißen, und heute war der Brenner mit dem Bimbo zusammengespannt, jeden Tag ein anderes Duo, je nach Rotationsprinzip. Und abwechselnd Fahrer oder Beifahrer, das war eine Neuerung, die der Junior eingeführt hat. Aber der Junior hat einen Narren am Bimbo gefressen, der ist grundsätzlich nur mit ihm gefahren.
Und es haben schon die Spatzen von den Dächern gepfiffen, daß der Bimbo der nächste sein wird, der zum Notarztwagenfahrer befördert wird.
"Sie fahren ab sofort mit dem 770er. Mit dem Sanitäter Schimpl", hat der fette Buttinger noch kommandiert, und dann auf einmal in einer ganz anderen Tonart: "Rettungszentrale?"
Weil das hat dem orangen Notruftelefon gegolten. Und im selben Moment hat der fette Buttinger schon die Glocke gedrückt. Und im nächsten Augenblick hat er aus einem halben Zentimeter Entfernung dem Brenner ins Gesicht gebrüllt: "Hoppauf, Brenner! Laufschritt!"
Und jetzt hat der Brenner erst kapiert, daß er durch den Fahrerwechsel von der siebten an die erste Stelle im Rotationsrad vorgerutscht ist und daß er mit seinem neuen Sanitäter den Notfall übernehmen muß.
Der hat schon im Wagen gewartet, wie der Brenner endlich angerannt gekommen ist. Er hat schon gefürchtet, daß ihm der Schimpl gleich einen Vortrag hält, weil das ist einer von diesen Menschen gewesen, die zu allem und jedem ihre ungefragte Meinung sagen. Und dann wirklich sofort ein Vortrag, aber nicht über die Langsamkeit vom Brenner.
Weil über den Funk ist jetzt "Franz-Josefs-Bahnhof. 15 s" gekommen, und da hat der Schimpl sofort dem Brenner das dahinterliegende Problem erklärt: "Es ist ein Wahnsinn, wie viele Sandler wir in dieser Stadt haben. Jede zweite Tour ist das jetzt schon bald. Daß wir Taxi für einen Herrn Sandler spielen dürfen. Heute darf man ja nicht mehr Sandler sagen. Heute muß man Obdachloser sagen."
Du mußt wissen, daß 15 s der Funkcode für einen bewußtlosen Sandler gewesen ist. Das war der einzige Funkcode mit einem s, sonst nur Zahlen, weil wo auf der Welt hat man schon ein s in einem Funkcode gesehen. Aber "15" Bewußtlosigkeit, und "s" war nur der heimliche Hinweis auf einen Sandler.
An und für sich sind solche Hinweise nicht erlaubt, nur Hinweise auf die Art des Notfalls, nicht auf die Art der Person, das wäre vom humanitären dings her international nicht in Ordnung. Andererseits doch eine gewisse Orientierungshilfe für den Fahrer, wenn er das s dabeihat. Weil sonst riskierst du bei 15 jedesmal Kopf und Kragen für einen Bewußtlosen. Und wenn du dann ankommst und es ist nur ein besoffener Sandler, mußt du als Rettungsmann aufpassen, daß du ihm nicht selber noch mit dem Schuh ein kleines 15 zufügst.
Das klingt vielleicht brutal, aber du darfst die Säfte nicht vergessen, die du ausschüttest, wenn du voll einsatzmäßig mit Blaulicht und Sirene zufährst. Angefangen vom Adrenalin bis zum - aber ich bin kein Arzt. Ich weiß nur, daß diese Säfte dich aggressiv machen. Weil du brauchst die Aggression, wenn du über ein paar rote Kreuzungen teufeln und überall die Autos und Radfahrer und Fußgänger auf die Seite stauben mußt.
Und wenn du dann auf einen besoffenen Sandler triffst, für den du dein Leben aufs Spiel gesetzt hast, geht dir natürlich kurz das Geimpfte auf.
Darum hat der Junior irgendwann entschieden, sagen wir lieber das s dazu. Besser, man fährt gemächlich, wenn es ein Sandler ist, und ist dafür nicht so aggressiv. Ich glaube, es ist damals gewesen, vor fünf, sechs Jahren, wie die Sandlergeschichte mit der Kopfverletzung war. Wo die Zeitung darüber geschrieben hat.
Da ist der Besoffene auf die Gehsteigkante gefallen, und dann ist in der Zeitung gestanden, der Rettungsfahrer hätte ihn ein bisschen - praktisch ungeschickt angegriffen.
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