Komm wieder zurück: Roman
seines Namens wie eine schallende Ohrfeige. »Sie lieben meinen Onkel Calder?« Er hat nie erwähnt, dass er sie kennt.
»Er ist ein lustiger Mensch. Und ziemlich charmant, nicht?«
»Ja«, sagt Annie. »Meinem Bruder ziemlich ähnlich«, fügt sie hinzu, um etwas Terrain zurückzugewinnen. Sie kann Annies Familie doch nicht besser kennen als Annie. »Haben Sie auch schon meine Mutter kennengelernt?«
Sidsels Lächeln löst sich auf. »Noch nicht. Ich habe das Gefühl, sie mag mich nicht. Ich bin sicher, sie denkt, dass dies alles meine Schuld ist.«
Annie spürt eine Welle der Sympathie. »Keine Sorge. Mich mag sie auch nicht besonders.«
Sidsel strahlt mit offenem Mund über das ganze Gesicht. Ihre Zähne sind groß, weiß und gerade. Vollkommen. Annie versteht nicht, wieso sie nicht irgendwo auf einem Laufsteg Millionen Dollar macht, statt in Calders Wohnzimmer zu hocken.
»Ich bin in einem kleinen Haus an einer Straße mit Kopfsteinpflaster aufgewachsen«, sagt sie, und Annie überlegt, wie Calder sich bemüht, mit Sidsels sprunghaftem Denken Schritt zu halten. Dann merkt sie, dass die Erwähnung von Annies Familie Sidsel an ihre eigene erinnert hat.
»Wir hatten zwei schwarze Katzen, Trudel und Lille. Meine Eltern waren Lehrer.«
»Meine Mutter war auch Lehrerin.«
»Ich weiß«, sagt sie.
Natürlich.
»Im Sommer war ich immer auf der Insel Ärösköping. Da bin ich oft nackt geschwommen und habe Erdbeeren gegessen.«
Annie nickt und lächelt und lehnt sich für die Geschichte zurück. Man kann sich gut vorstellen, wie Calder alles an ihr anziehend findet, die Intrige und ihre Schönheit, die Verliebtheit und Neugier.
»Die Steinhäuser stehen da alle in einer Reihe.« Sidsel faltet die Hände. »Rot, gelb und blau. Die Menschen reißen jeden Tag zur gleichen Zeit die Fensterläden auf, damit die Brise von der Nordsee hereinziehen kann. Die Polster auf den Möbeln fühlen sich feucht an. Alles riecht nach Salz.«
Also ist sie eine Geschichtenerzählerin. Da haben sie eine Gemeinsamkeit. Annie spürt plötzlich einen Kloß im Hals.
»Ich habe nicht mehr daran gedacht, seit ich klein war. Fast in jedem Haus auf der Insel stehen auf der Fensterbank sogenannte Puffhunde, kleine Spaniel aus Porzellan.« Sidsel lacht in sich hinein, als ob ihr gerade etwas aufgegangen wäre.
»Man erzählt sich eine Geschichte von den Fischern«, sagt sie. »Wenn sie nach London reisten, besuchten sie Prostituierte, die vorgaben, mit diesen Porzellanspaniels zu handeln. Die Fischer brachten sie ihren Frauen als Geschenke mit. Aber die Frauen waren nicht dumm. Sie wussten genau, woher die kamen.« Sie schüttelt den Kopf. »Die Frauen waren so schlau, dass sie die Puffhunde als Zeichen für ihre Liebhaber ins Fenster stellten. Wenn die Hunde nach draußen sahen, war der Ehemann auf See. Wenn sieder Straße den Rücken mit dem Lockenschwanz zukehrten, war der Ehemann heimgekommen, und die Liebhaber wussten, dass sie wegbleiben sollten.«
Es ist ein uraltes Spiel von Lug und Trug und Heuchelei, diese ganze Geschichte mit dem Fremdgehen. Komisch, dass Sidsel so unbekümmert darüber plaudert angesichts der Folgen, die das für ihr Leben hat, ganz zu schweigen von Annies. Sie muss über Owen Bescheid wissen. Sie muss wissen, was zwischen Annie und Calder vorgefallen ist. Angenommen, Sidsel weiß das alles, dann erscheint ihre Unbekümmertheit herzlos.
Andererseits sind es vielleicht nur ihre Nerven. Vielleicht ist es in der Übersetzung verloren gegangen.
Sidsel wirft den Kopf in den Nacken und seufzt zur Zimmerdecke, sie schweigen beide, und Annie hat nicht das Bedürfnis, irgendetwas zu sagen. Sie starrt ins Feuer, dessen vorhersehbare Form sich niemals ändert.
Sie denkt an damals, als Owen mit einem seltsamen Geruch in den Kleidern nach Hause kam. Es war weder Parfüm noch eine Lotion oder Make-up. Es war der Geruch von Braten, Brühe und Rauch, und sie wusste, dass er Stunden in irgendeinem Lokal gesessen hatte. Einem netten Restaurant. Er hätte arbeiten sollen, und sie sagte sich, dass er und die anderen sich vielleicht festgefahren hatten, manchmal passierte ja so etwas, wenn man sich nicht auf die winzigste Melodie einigen konnte. Dann muss man raus aus dem Studio und mit frischen Augen und Ohren zurückkommen; und darum war sie im Bett von ihm weggerollt, und obwohl es sie eine Weile bedrückte, war es nicht so schlimm, dass sie nicht hätte schlafen können.
Am nächsten Morgen sah sie sein Hemd auf der
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