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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Reed
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Werkstatt nachgedacht, inmitten von Holz und Sägen und Gläsern voller Nägel und einer ganzen Sammlung von Meißeln und Hämmern. Eine Reihe von Holzlasuren stand auf einem einzelnen Bord für die letzte Phase in der Herstellung von Schaukelstühlen, Truhen und Spiegeln in auf Gehrung geschnittenen Rahmen. Die Luft war von Terpentin, Sägemehl und Schweiß geschwängert. Annie hatte ihm geholfen, Vogelhäuschen aus Kiefernholz für Schwalben zu bauen, mit Schlitzen als Öffnung, um die Spatzen fernzuhalten. Jeden Tag rochen ihre Hände und ihr Haar, ihr ganzer Körper nach Harz. Die Vogelhäuschen wurden an einem Stand verkauft, den sie an der Straße aufbauten, und von einem Teil des Geldes kauften sie ihre erste Gitarre, die, wie ihr Vater gesagt hatte, nichts anderes war als ein komisch aussehendes Vogelhäuschen mit einem Loch, das so groß war, dass Kuhstärlinge darin ihre Eier legen konnten.
    In diesem Sommer war sie fast jedes Wochenende in seiner Werkstatt gewesen und hatte nicht bemerkt, dass dort ein Tisch gebaut wurde.
    »Wie sieht er denn aus?«, fragte sie.
    »Wer?«
    »Der Tisch.«
    Ihre Mutter brauchte einen Moment, um sich Nase und Augen abzuwischen. »Bauerntisch hat er ihn genannt. Er hatte den Traum, eine ganze Kollektion von Tischen aus Tigerahorn zu fertigen. So hat er sich seine Zukunft vorgestellt: Er wollte in seiner Werkstatt Radio hören und diese Tische nach Kundenwünschen bauen, damit sich Familien darum versammeln.«
    »Sonntags?«, fragte Annie.
    Die Mutter stöhnte auf. Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
    Nach einer Weile fragte Annie: »Wo ist er?«
    »Der Tisch?«
    Annie nickte.
    »In Onkel Calders Garage. Ich denke mal, er besteht bisher nur aus Einzelteilen.«
    Sie ließ das zerknüllte Taschentuch in ihren Schoß fallen und wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Sie weinte leise in ihre Hände, und sie warteten, dass sie aufhörte. Schließlich brach sie abrupt ab, als ob sie die Tränen mit Gewalt hinunterschluckte und die Worte herauspresste.
    »Er hatte Krebs. Einen Hirntumor. Man konnte gar nichts für ihn tun.«
    In der Stille hörte man eine Fliege ans Fenster tippen, die hereinkommen wollte.
    »Ich will ihn sehen«, sagte Calder schließlich.
    »Da gibt es nichts zu sehen«, sagte ihre Mutter.
    »Bring mich zu ihm!«, schrie Calder.
    »Man kann gar nichts …« Ihr Gesicht erstarrte, die Muskeln wurden steif, entschlossen, stumm zu bleiben.
    Annie schluckte trocken. Ihr Vater war tot. Sie wusste, dass es dies war, was die Mutter nicht über die Lippen brachte. Er war tot. Sie wusste es. Zumindest ein Teil von ihr wusste dies, doch der andere Teil schien sie von außen zu beobachten und zu erkennen, dass die Mutter irgendwie vergessen hatte, dass sie noch Kinder waren, ihre Kinder, und dass ihr Mann deren Vater gewesen war, und jetzt war er tot, und es war niemand da, der ihnen sagte, was sie tun sollten, ihnen zu verstehen half und die nächste Minute, den nächsten Tag und das nächste Jahr zu überstehen.
    Calder rannte durch den Flur und schlug seine Zimmertür hinter sich zu. Annie drehte sich zur Mutter um, doch die war nicht mehr da. Sie war durch eine Frau ersetzt worden, die mit den Zähnen knirschte und mit hasserfülltem, rastlosem Blick an die Decke starrte. Wieder wollte Annie sie anfassen, wagte es jedoch nicht.
    Wo war Onkel Calder? Annie traute sich nicht zu fragen.

SIEBZEHN
    Sie kommt durch die Tür hereingeweht wie vom Sturm getrieben. In einem Arm trägt sie eine Tüte mit Lebensmitteln, mit der anderen schleppt sie schweres Gepäck. Sie schiebt mit dem Rücken die Tür auf und hat keine Ahnung, dass Annie in Calders Wohnzimmer steht, und Annie fällt nichts ein, das sie ihr sagen könnte, um sie zu warnen. Und dann ist es nicht mehr nötig, denn plötzlich klingelt ihr Handy auf der Arbeitsplatte.
    Sidsel dreht sich um und schreit, schreit durchdringend, als wollte jemand sie umbringen.
    »Schon gut«, sagt Annie, doch sie liest es in Sidsels großen runden Augen und an der Art, wie sie immer noch zurückweicht, dass sie ihr nicht glaubt. »Ich bin Annie. Calders Schwester.«
    Annie klappt ihr Telefon auf und wieder zu, damit das Klingeln aufhört.
    »Av,
min Gud!
«, sagt Sidsel oder so was in der Art und stellt die Lebensmittel auf ihr Gepäck. Sie stützt die Hände auf ihre Knie unter dem roten Trenchcoat und verschnauft wie ein Sportler nach einem Tausendmeterlauf. »Was machen Sie hier?« Eher eine Feststellung als eine

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