Komm zurueck, Como
erzählte Sally, die Praxis habe angerufen, um zu sagen, Como sei noch immer stabil, und sie hätten dafür gesorgt, dass er später am Nachmittag in die Klinik gefahren werde. » Wir können Phoebe von der Schule abholen und es ihr sagen«, schlug Sally vor. » Dann können wir direkt dorthin fahren. Das müsste zeitlich genau passen.«
Ich hatte viel über Phoebe nachgedacht, während ich durch die Praxis gewandert war, und hielt die Vorstellung fast schon nicht mehr aus, ihr ins Gesicht blicken und erzählen zu müssen, dass ihr Hund überfahren und beinah getötet worden war, vielleicht sterben würde oder nicht mehr laufen oder auf ihr Bett springen könnte, während sie ihre Hausaufgaben machte. Im Moment allerdings mussten wir ihr erzählen, dass wir nicht wussten, was passieren würde. Diese Sache müssten wir gemeinsam durchstehen, egal, wohin das alles führte.
Nachdem ich die Dusche vom Blut gereinigt hatte, sah ich, dass zwei der Stellen, wo mich Como gebissen hatte, noch immer nässten. Sally bestand darauf, dass ich die Wunden untersuchen lassen sollte. Ich stimmte zu, vor allem, um etwas anderes zu tun, als vor Sorgen und Aufregung zu vergehen. Ich versicherte ihr, durchaus in der Lage zu sein, selbst zu fahren. Auf dem Weg zu meinem Arzt schaltete ich das Radio ein und traf auf einen Sender, bei dem ich beinahe mit dem Auto angehalten hätte. Es war einer jener Momente, die einen manchmal mitten in einer Krise ereilen: Während alle Sinne auf Wachsamkeit getrimmt sind, sieht, hört oder bemerkt man etwas, das ganz speziell, fast schon ausschließlich, für einen selbst bestimmt ist.
Eine Frau mit rauer Stimme, deren Name ich nicht verstand, wurde interviewt. Sie redete über die Verbindungen und das » Angstgedächtnis«, das ein Pferd aufbauen könnte, wenn es zum Beispiel von einem Mann mit schwarzem Hut schlecht behandelt wurde. Das Tier würde nicht unbedingt Angst vor schwarzen Hüten entwickeln. Dann fuhr die Frau, die sich als die bekannte Tierexpertin und Autorin Temple Grandin herausstellte, fort: » Oder das Beispiel eines Hundes, der von einem Auto angefahren wurde. Man würde erwarten, der Hund bekommt Angst vor dem Auto. Nein, er hat Angst vor dem Stück Asphalt, auf das er in dem Moment starrte, in dem er angefahren wurde.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich in Anbetracht all der Dinge, die mir an diesem Tag durch den Kopf geisterten, bisher bewusst daran gedacht hatte, doch wahrscheinlich hatte ab dem Moment des Unfalls auch eine bestimmte düstere Sorge an mir genagt: Wie würde Comos Erinnerung aussehen, wenn er überlebte? Welcher nicht löschbare Film würde in seinem Kopf ablaufen? Würde er mich als denjenigen sehen, der den Geländewagen wie aus dem Nichts auftauchen ließ, um ihn zu überfahren, und mich somit dauerhaft als gefährliches, pervers finsteres Wesen verankern, das er um alles auf der Welt meiden musste? Waren die Jagdszene und ihr grausamer Höhepunkt als übles Zwei-Personen-Drama in ihm gespeichert, als albtraumhafte Wiederholung dessen, was ein Mann ihm in der Vergangenheit angetan hatte und dem er nie wieder entkommen konnte?
Oder vielleicht, aber auch nur vielleicht, funktionierte ein Hund ganz anders, wie mir die Frau im Radio anzuvertrauen schien. Es könnte sein, dass er, sobald er auf die Straße gerannt war und diesen großen, schwarzen Reifen auf sich zukommen sah, mich völlig vergessen und mich aus jeglicher Ursache-und-Wirkung-Verbindung ausgekoppelt hatte. Dann wäre nicht ich derjenige, den er mit dem furchtbaren, schmerzhaften Aufprall verband, sondern das, was sein Auge zufällig im Moment des Unfalls gesehen hatte– den Bordstein auf der anderen Seite der Kirkham Street, den glänzenden Kühlergrill des Geländewagens oder den Reifen mit seinem Zickzackmuster.
Es war nicht so, dass ich mich aus der Affäre ziehen wollte. Ich wusste, was ich getan und wobei ich versagt hatte, und deswegen plagte mich ein mächtig schlechtes Gewissen. Das würde sich nicht ändern, sondern im Gegenteil noch schlimmer werden. Doch mir war ein Funken Hoffnung geblieben. Dieser hatte zu glimmen begonnen, als Como nicht auf der Straße gestorben war. Dann, als ihn blonde Ärztin Nummer eins und blonde Ärztin Nummer zwei in der Tierarztpraxis am Leben erhalten konnten, hatte der Funken schon kräftiger geflackert. Und jetzt, als ich die Masonic Avenue hinaufsurrte und die Sonne auf der Motorhaube funkelte, überkam mich eine neue Welle vorläufiger Hoffnung. Wenn
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