Komm zurück, mein dunkler Bruder
äußerst heftige Böe wehte uns fast von der Schnellstraße, doch abgesehen davon kamen wir rasch voran.
Deborah erwartete uns am Eingang. »Kommt in mein Büro«, sagte sie, »und erzählt mir, was ihr wisst.« Wir folgten ihr zum Aufzug und fuhren nach oben.
»Büro« war eine leicht übertriebene Bezeichnung für Deborahs Arbeitsplatz. Es war ein Kabuff unter vielen in einem Großraumbüro. Man hatte einen Schreibtisch samt Stuhl und zwei Klappstühle für Besucher hineingequetscht, auf denen wir jetzt Platz nahmen. »Also los«, sagte sie. »Was ist passiert?«
»Sie … ich habe sie in den Garten geschickt«, berichtete Rita. »Sie sollten ihr Spielzeug und die Sachen hereinholen. Wegen des Hurrikans.«
Deborah nickte. »Und dann?«, drängte sie.
»Ich ging hinein, um die Vorräte zu verstauen«, erzählte Rita weiter. »Und als ich wieder herauskam, waren sie verschwunden. Ich habe nicht – es waren nur ein paar Minuten, und sie …« Rita schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte.
»Hast du jemanden gesehen?«, fragte Deborah. »Unbekannte Autos in der Nachbarschaft? Irgendetwas?«
Rita schüttelte den Kopf. »Nein, nichts, sie waren einfach verschwunden.«
Deborah blickte mich an. »Was soll der Scheiß, Dexter?«, fauchte sie. »Das ist alles? Die ganze Geschichte? Woher willst du wissen, dass sie nicht nebenan Nintendo spielen?«
»Komm schon, Deborah. Falls du zu erschöpft zum Arbeiten bist, sag es einfach. Wenn nicht, hör mit diesem Mist auf. Du weißt genauso gut wie ich …«
»Ich weiß nichts dergleichen und du ebenfalls nicht«, schnauzte sie.
»Dann hast du nicht aufgepasst«, erwiderte ich, wobei ich feststellte, dass mein Ton schärfer wurde, um sich ihrem anzupassen, was mich ein bisschen überraschte. Gefühle? Ich? »Die Visitenkarte, die er Cody gegeben hat, verrät uns alles, was wir wissen müssen.«
»Abgesehen vom Wo, Wie und Warum«, knurrte sie. »Und ich warte immer noch auf ein paar Hinweise.«
Obgleich ich darauf vorbereitet war, zurückzuknurren, gab es eigentlich nichts zu knurren. Sie hatte recht. Dass Cody und Astor verschwunden waren, bedeutete nicht automatisch neue Informationen, die uns zum Mörder führten. Es bedeutete nur, dass der Einsatz erhöht worden war und uns die Zeit davonlief.
»Was ist mit Wilkins?«, herrschte ich sie an.
Sie winkte ab. »Er steht unter Beobachtung.«
»Wie beim letzten Mal?«
»Bitte!« In Ritas Stimme lag drohende Hysterie. »Worüber redet ihr eigentlich? Gibt es denn keine Möglichkeit – ich meine, irgendetwas …« Ihre Stimme verklang in einer neuen Runde Schluchzer, und Deborah wandte ihren Blick von Rita zu mir. »Bitte«, jammerte Rita.
Als ihre Stimme anschwoll, antwortete ein Echo in meinem Inneren, ein finaler Schmerz schien in die leere Benommenheit zu tropfen, der mit der weit entfernten Musik verschmolz.
Ich erhob mich.
Ich spürte, wie ich leicht schwankte, und ich hörte Deborah meinen Namen rufen, und dann war die Musik da, leise, doch unwiderstehlich, als wäre sie immer dort gewesen, hätte auf den Moment gewartet, in dem ich ihr ohne abgelenkt zu werden lauschen konnte, und ich konzentrierte mich auf das Schlagen der Trommeln, das mich rief, mich rief, wie es mich die ganze Zeit gerufen hatte, doch drängender jetzt, zu ultimativer Ekstase anschwellend, bedeutete sie mir, zu kommen, zu folgen, diesen Weg zu nehmen, mich mit der Musik zu vereinen.
Und ich erinnere mich, wie froh ich war, dass die Zeit endlich gekommen war, und obgleich ich hörte, wie Deborah und Rita auf mich einredeten, schien nichts von dem, was sie sagten, von Bedeutung, nicht jetzt, da die Musik mich rief und das Versprechen vollkommenen Glücks endlich hier war. Deshalb lächelte ich sie an, ich glaube, ich sagte sogar: »Entschuldigt mich bitte«, und ging aus dem Raum, ohne auf ihre verblüfften Mienen zu achten. Ich verließ das Gebäude und lief zum anderen Ende des Parkplatzes, wo die Musik ertönte.
Dort erwartete mich ein Auto, was mich noch glücklicher machte, und ich eilte darauf zu, bewegte meine Füße im wunderbaren Fluss der Musik, und als ich ihn erreichte, sprang die Heckklappe des Wagens auf, und dann erinnerte ich mich an nichts mehr.
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38
I ch war so glücklich wie nie.
Die Freude traf mich wie ein Komet, der riesig und massiv über den dunklen Himmel flammte und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf mich zuwirbelte, strudelte, um mich zu verzehren und in ein Universum aus
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