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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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alles, was ES zu lehren hatte, und machten munter weiter. Erst waren es vier, dann acht, dann vierundsechzig – und plötzlich waren es zu viele. Für so viele war einfach kein Platz. Selbst die neuen Wirte wehrten sich gegen die Anzahl der Opfer, die benötigt wurden.
    ES war praktisch, wenn schon nichts sonst. ES erkannte sehr schnell das Problem und löste es – indem ES fast alle der Anderen tötete, die ES hervorgebracht hatte. Einige entkamen in die Welt, suchten nach neuen Wirten. ES behielt nur wenige bei sich, und schließlich war die Lage wieder unter Kontrolle.
    Einige Zeit später gingen die Flüchtigen zum Gegenangriff über. Sie gründeten rivalisierende Tempel mit neuen Ritualen und sandten ihre Armeen gegen ES , und sie waren zahlreich. Der Aufstand war gewaltig und erstreckte sich über lange Zeit. Doch da ES der Älteste und Erfahrenste war, bezwang ES am Ende all die Anderen, bis auf einige wenige, die sich verbargen.
    Diese Anderen versteckten sich in vereinzelten Wirten, verhielten sich unauffällig, und viele überlebten. Doch ES hatte im Verlauf der Jahrtausende zu warten gelernt. ES hatte alle Zeit der Welt, und ES konnte es sich leisten, geduldig zu sein, sie nach und nach aufzustöbern und diejenigen zu töten, die flohen, während ES sorgsam die großartige und wunderbare Verehrung von ES wiederherstellte.
    ES hielt die Verehrung von ES lebendig; im Verborgenen zwar, aber lebendig.
    Und ES lauerte auf die Anderen.

[home]
    37
    W ie ich sehr wohl weiß, ist die Welt kein angenehmer Ort. Zahllose grauenvolle Dinge können einem zustoßen, insbesondere Kindern: Ein Fremder oder ein Freund der Familie oder ein geschiedener Vater kann sie entführen; sie können herumstromern und verschwinden, in ein Erdloch stürzen, im Pool des Nachbarn ertrinken – und ein aufziehender Hurrikan brachte noch mehr Möglichkeiten mit sich. Die Liste unterlag keiner anderen Einschränkung als ihrer Einbildungskraft, und darüber verfügten Cody und Astor im Überfluss.
    Doch als Rita mir mitteilte, dass sie verschwunden waren, zog ich Erdlöcher, Verkehrsunfälle oder Motorradbanden gar nicht erst in Betracht. Ich wusste, was Cody und Astor zugestoßen war, wusste es mit eisiger, tiefer Gewissheit, die eindeutiger und unerschütterlicher war als alles, was der Passagier mir jemals zugewispert hatte. Ein Gedanke beherrschte meinen Verstand, und ich stellte ihn nicht in Frage.
    In der halben Sekunde, die er benötigte, um Ritas Botschaft zu registrieren, wurde mein Verstand von kurzen Szenen überschwemmt: die Autos, die mich verfolgten, die nächtlichen Besucher, die gegen Fenster und Türen hämmerten, der unheimliche Typ, der den Kindern seine Visitenkarte gab, und, am überzeugendsten, die reißerische Aussage von Professor Keller: »Moloch fand Gefallen an Menschenopfern. Besonders an Kindern.«
    Ich wusste nicht, warum Moloch ausgerechnet meine Kinder wollte, doch wusste ich ohne den geringsten Zweifel, dass er, sie oder es die beiden hatte. Und ich wusste, dass dies nichts Gutes für Cody und Astor verhieß.
    Als geübter Miami-Fahrer verlor ich auf dem Heimweg keine einzige Sekunde, und nach wenigen Minuten sprang ich aus dem Wagen. Rita wartete am Ende der Einfahrt im Regen und sah aus wie eine kleine, verlassene Maus.
    »Dexter«, sagte Rita, und in ihrer Stimme schwang eine ganze Welt der Leere. »Bitte, o Gott, Dexter, finde sie.«
    »Schließ das Haus ab«, wies ich sie an, »du kommst mit.«
    Sie sah mich an, als hätte ich vorgeschlagen, die Kinder ihrem Schicksal zu überlassen und kegeln zu gehen. »Sofort«, sagte ich. »Ich weiß, wo sie sind, aber wir brauchen Hilfe.«
    Rita drehte sich um und rannte zum Haus, und ich zog mein Handy heraus und wählte.
    »Was?«, meldete sich Deborah.
    »Ich brauche deine Hilfe.«
    Kurzes Schweigen, und dann ein kurzes Bellen humorlosen Gelächters. »Jesus«, lachte sie. »Ein Hurrikan zieht auf, die bösen Buben haben sich in der Stadt in Fünferreihen aufgestellt und warten auf den Stromausfall, und du brauchst meine Hilfe?«
    »Cody und Astor sind verschwunden. Moloch hat sie.«
    »Dexter«, keuchte sie.
    »Ich muss sie rasch finden und ich brauche deine Hilfe.«
    »Komm her«, sagte sie.
    Als ich mein Handy einsteckte, lief Rita durch die sich bereits auf dem Bürgersteig bildenden Pfützen auf mich zu. »Ich habe abgeschlossen«, sagte sie. »Aber, Dexter, was ist, wenn sie zurückkommen und wir sind nicht da?«
    »Sie kommen nicht zurück«,

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