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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Glückseligkeit und allwissender Einheit, Liebe und Verständnis zu tragen – nimmer endende Wonnen, in mir und um mich herum.
    Er wirbelte mich gehüllt in eine warme, gleißende Decke triumphierender Liebe über den pfadlosen Nachthimmel und wiegte mich in endloser Freude, Freude, Freude. Doch während ich mich höher und schneller und von jedem erdenklichen Glück nahezu überfließend nach oben schraubte, dröhnte plötzlich ein lautes Krachen über mich hinweg, und als ich die Augen aufschlug, befand ich mich in einem dunklen, kleinen Raum ohne Fenster, doch mit äußerst hartem Betonboden und ebensolchen Wänden, und ohne jede Ahnung, wo ich mich befand oder wie ich dorthin gelangt war. Über der Tür brannte eine kleine Lampe, und ich lag in ihrem schwachen Schein auf dem Fußboden.
    Das Glück war komplett verschwunden, und in mir wallte nichts, um es zu ersetzen, abgesehen von der Gewissheit, dass, wo immer ich war, niemand vorhatte, mir Freude oder auch nur Freiheit zurückzugeben. Und obgleich sich in dem Raum keine Stierschädel befanden, weder aus Keramik noch andere, und sich auf dem Boden keine alten aramäischen Zeitungen stapelten, fiel es mir nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. Ich war der Musik gefolgt, hatte mich in Ekstase gesteigert und die bewusste Kontrolle verloren. Und so standen die Chancen äußerst gut, dass ich mich in Molochs Gewalt befand, ob er nun real war oder mythisch.
    Gleichwohl sollte ich das nicht einfach voraussetzen. Vielleicht war ich beim Schlafwandeln irgendwo in einem Lagerraum gelandet und musste, um hinauszugelangen, einfach nur den Türknauf drehen. Ich erhob mich mit einiger Mühe – ich war erschöpft und ein bisschen wacklig, und ich nahm an, dass, wie auch immer ich hierher gelangt war, Drogen keine ganz unwesentliche Rolle gespielt hatten. Ich blieb einen Moment stehen und konzentrierte mich darauf, den Raum zum Stillstand zu bringen, und nach einigen tiefen Atemzügen gelang es mir. Ich trat einen Schritt zur Wand und streckte die Hand aus: sehr solide Zementblöcke. Die Tür fühlte sich fast ebenso massiv an und war fest verschlossen; sie klapperte nicht einmal, als ich die Schulter dagegenrammte. Ich schritt einmal den Umriss des kleinen Raums ab – er war tatsächlich nicht größer als ein Wandschrank. In der Bodenmitte befand sich ein Abfluss, die einzige Ausstattung oder Möblierung, die ich erkennen konnte. Nicht sonderlich ermutigend, da das entweder bedeutete, dass ich ihn für persönliche Angelegenheiten nutzen sollte, oder einfach nicht vorgesehen war, dass mein Aufenthalt lange genug dauerte, um eine Toilette zu erfordern. Sollte dies der Fall sein, hegte ich gewisse Zweifel, dass ein früher Abgang gut für mich war.
    Nicht, dass ich etwas daran ändern konnte, welche Pläne auch immer für mich geschmiedet worden waren. Ich hatte
Der Graf von Monte Christo
und
Der Gefangene von Zenda
gelesen und wusste, dass ich mir innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre mit Leichtigkeit einen Weg in die Freiheit graben konnte, wenn ich nur eines Löffels oder einer Gürtelschnalle habhaft wurde. Doch hatten sie gedankenloserweise davon abgesehen, mich mit einem Löffel zu versorgen, wer auch immer sie waren, und meine Gürtelschnalle hatte offenbar anderweitig Verwendung gefunden. Zumindest verriet mir das eine Menge über sie. Sie waren sehr umsichtig, was vermutlich erfahren bedeutete, und ihnen fehlte der geringste Sinn für Anstand, da sie keinen Gedanken daran verschwendeten, ob meine Hose ohne Gürtel herunterrutschen könnte. Dennoch hatte ich keinerlei Vorstellung, wer sie sein mochten oder was sie von mir wollten.
    Alles äußerst unerfreulich.
    Und es verschaffte mir nicht den geringsten Hinweis, was ich tun konnte, außer mich auf den kalten Zementboden zu setzen und zu warten.
    Das tat ich.
    Besinnung soll gut für die Seele sein. Zu allen Zeiten haben Menschen versucht, Ruhe und Frieden zu finden, Zeit für sich, ohne jede Ablenkung, nur um sich zu besinnen. Und jetzt hatte ich genau das – Ruhe und Frieden ohne Ablenkung, doch fand ich es nichtsdestotrotz schwierig, mich in meinem bequemen Zementkämmerchen zurückzulehnen und die Besinnung ihr gutes Werk für meine Seele tun zu lassen.
    Erstens war ich nicht sicher, ob ich eine Seele besaß. Falls ja, was fiel ihr dann ein, mich so viele Jahre so schreckliche Dinge tun zu lassen? Hatte der Dunkle Passagier die Stelle der hypothetischen Seele eingenommen, die Menschen angeblich

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