Komm zurück, mein dunkler Bruder
gesagt konnte ich mich nicht mehr erinnern, warum Löwen wichtig waren. Aber zum Glück für meine Reputation klingelte mein Handy, ehe ich das zugeben konnte. »Nur einen Augenblick«, sagte ich und zog das Gerät aus dem Halfter. Ich warf einen Blick darauf und erkannte Deborahs Nummer. Und da Familie immer noch Familie ist, meldete ich mich.
»Sie haben die Köpfe gefunden«, sagte sie.
Ich brauchte einen Moment, ehe ich begriff, was sie meinte, doch Deborah zischte in mein Ohr, und mir wurde bewusst, dass von mir irgendeine Reaktion erwartet wurde. »Die Köpfe? Der beiden Leichen drüben an der Universität?«
Deborah produzierte ein gereiztes Zischen und sagte: »Jesus, Dex, so viele fehlende Köpfe gibt es in dieser Stadt nicht.«
»Na ja, da wäre das Rathaus«, wandte ich ein.
»Schieb deinen Arsch hierher, Dexter. Ich brauche dich.«
»Aber Deborah, es ist Samstag, und ich bin mitten …«
»Sofort«, blaffte sie und legte auf.
Ich sah zu Cody und Astor hinüber und bedachte meine Zwickmühle. Wenn ich sie nach Hause brachte, konnte ich frühestens in einer Stunde bei Debs sein, und außerdem würden wir unsere kostbare Wochenendzeit zu dritt einbüßen. Andererseits wusste selbst ich, dass es ein wenig exzentrisch war, Kinder zum Schauplatz eines Mordes mitzunehmen.
Doch gleichzeitig war es von erzieherischem Wert. Sie hatten es bitter nötig zu erleben, wie gründlich die Polizei vorging, wenn tote Körper auftauchten, und diese Gelegenheit war so gut wie jede andere. Selbst unter Einbeziehung des Umstands, dass meine Schwester an die Decke gehen würde, kam unter dem Strich für mich heraus, dass es das Beste war, sie einfach ins Auto zu packen und zu ihrer ersten Ermittlung mitzunehmen.
»Also gut«, sagte ich zu ihnen, während ich mein Handy wieder wegsteckte. »Wir müssen jetzt los.«
»Wohin?«, fragte Cody.
»Meiner Schwester helfen«, erklärte ich. »Werdet ihr euch merken, was ihr heute gelernt habt?«
»Ja, aber das ist doch bloß ein
Museum
«, sagte Astor. »Das ist nicht das, was wir lernen wollen.«
»Doch, das ist es«, erwiderte ich. »Und ihr müsst mir vertrauen und auf meine Weise lernen, oder ich werde euch nicht unterrichten.« Ich beugte mich hinunter, um ihnen in die Augen sehen zu können. »Ohne Scheiß.«
Astor runzelte die Stirn. »Dex-terrr«, stöhnte sie.
»Das ist mein Ernst. Auf meine Weise.«
Wieder einmal verschränkten sie und Cody die Blicke. Nach einem Moment nickte sie und drehte sich wieder zu mir um. »In Ordnung«, willigte sie ein. »Wir versprechen es.«
»Wir werden warten«, ergänzte Cody.
»Wir haben es kapiert«, sagte Astor. »Wann können wir mit dem coolen Zeug anfangen?«
»Wenn ich es sage«, antwortete ich. »Und jetzt müssen wir los.«
Sofort schaltete sie wieder auf schnippische Zehnjährige um. »Und wohin müssen wir?«
»Ich muss arbeiten«, erklärte ich. »Und deshalb nehme ich euch mit.«
»Werden wir eine
Leiche
sehen?«, fragte sie hoffnungsvoll.
Ich schüttelte den Kopf. »Nur den Kopf.«
Sie schaute Cody an und schüttelte ihrerseits den Kopf. »Das wird Mom nicht gefallen.«
»Ihr könnt im Auto warten, wenn ihr wollt«, bot ich an.
»Gehen wir«, sagte Cody, seine längste Rede an diesem Tag.
Wir gingen.
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17
D eborah erwartete uns vor einem bescheidenen Zwei-Millionen-Dollar-Haus in einer privaten Stichstraße in Coconut Grove. Die Straße war vom Inneren des Wächterhäuschen bis zu dem Haus einseitig abgeriegelt, und eine Ansammlung indignierter Anwohner standen auf ihren sorgsam manikürten Rasenflächen und Gehwegen herum und schäumten wegen der schlecht bezahlten, gesellschaftlich unerwünschten Mitarbeiter des Reviers, die in ihr kleines Paradies eingedrungen waren. Deborah stand auf der Straße und instruierte einen Videokameramann, was er aufzeichnen sollte und aus welcher Perspektive. Ich eilte zu ihr hinüber, Cody und Astor folgten mir auf dem Fuß.
»Was, zum Teufel, ist das?«, blaffte Deborah, während sie zornig von den Kindern zu mir starrte.
»Das nennt man Kinder«, teilte ich ihr mit. »Ein häufiges Nebenprodukt der Ehe, was der Grund sein könnte, warum du nicht damit vertraut bist.«
»Bist du jetzt völlig scheißdurchgeknallt, sie mit hierherzubringen?«, knurrte sie.
»Das Wort darfst du nicht benutzen«, schimpfte Astor und funkelte Deborah an. »Du schuldest mir fünfzig Cent.«
Deborah öffnete den Mund, wurde knallrot und schloss ihn wieder. »Du musst sie
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