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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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wegbringen«, sagte sie schließlich. »Sie sollten so etwas nicht sehen.«
    »Wir
wollen
es aber sehen«, maulte Astor.
    »Schsch«, sagte ich. »Alle beide.«
    »Gott im Himmel, Dexter«, stöhnte Deborah.
    »Du hast gesagt, ich soll sofort kommen«, verteidigte ich mich. »Hier bin ich.«
    »Ich kann auf keinen Fall Kindermädchen für die beiden spielen«, sagte Deborah.
    »Das musst du auch nicht«, sagte ich. »Das klappt schon.«
    Deborah starrte die zwei an; sie starrten zurück. Niemand zwinkerte, und einen Moment lang dachte ich, meine liebe Schwester würde sich die Unterlippe abbeißen. Dann riss sie sich zusammen. »Scheiß drauf«, sagte sie. »Ich habe keine Zeit für das Theater. Ihr zwei wartet dort drüben.« Sie zeigte auf ihr Auto, das an der gegenüberliegenden Straßenseite parkte, und packte mich am Arm. Sie zerrte mich zum Haus, das vor Geschäftigkeit summte. »Sieh dir das an!«, forderte sie mich auf und deutete auf die Hausfront.
    Am Telefon hatte Deborah mir mitgeteilt, sie hätten die Köpfe gefunden, doch tatsächlich hätte man sie nur schwerlich übersehen können. Vor dem Haus wand sich eine kurze Zufahrt zwischen zwei Pfeilern aus Felsstein hindurch, ehe sie sich in einen kleinen Garten mit einem Springbrunnen in der Mitte ergoss. Auf jedem Pfeiler saß eine verschnörkelte Leuchte. Zwischen den Pfeilern hatte jemand mit Kreide Zeichen auf die Zufahrt gekritzelt, die aussahen wie MLK , doch handelte es sich um eine mir unbekannte Schrift. Und um sicherzustellen, dass niemand zu lange über der Botschaft brütete, waren oben auf die Pfeiler …
    Nun. Obgleich ich zugeben muss, dass das Arrangement eine gewisse primitive Kraft und eine nicht zu leugnende dramatische Wirkung besaß, war es für meinen Geschmack wirklich zu derb. Auch wenn die Köpfe offensichtlich sorgfältig gesäubert worden waren, fehlten doch die Augenlider, und die Münder waren von der Hitze zu einem befremdlichen Lächeln gekrümmt, was kein erfreulicher Anblick war. Natürlich hatte mich hier niemand um meine Meinung gebeten, doch war ich stets der Überzeugung, dass man keine Reste hinterlassen sollte. Das ist unsauber und verrät einen Mangel an echtem Qualitätsbewusstsein. Und diese Köpfe so auffällig zu positionieren – das war reine Angeberei und eine unkultivierte Behandlung des Problems. Selbstverständlich kann nicht jeder Geschmack haben. Ich bin stets bereit zuzugeben, dass meine Technik nicht die einzig mögliche ist. Und wie immer bei ästhetischen Fragen wartete ich auf ein leises Zischen der Zustimmung vom Dunklen Passagier – das natürlich ausblieb.
    Weder ein Murmeln noch ein Zucken der Schwingen, kein Pieps. Mein Kompass war fort und hatte mich in der sehr verwirrenden Situation zurückgelassen, zum Händchenhalten auf mich selbst angewiesen zu sein.
    Natürlich war ich nicht völlig allein. Neben mir stand Deborah, und mir wurde bewusst, dass sie auf mich einredete, während ich über das Verschwinden meines Schattenkumpans grübelte.
    »Sie waren heute Vormittag auf der Beerdigung«, sagte sie. »Als sie zurückkamen, wartete das hier auf sie.«
    »Wer sind sie?«, fragte ich mit einem Nicken zum Haus.
    Deborah versetzte mir einen Ellbogenstoß zwischen die Rippen. »Die Familie, du Arschloch. Die Familie Ortega. Was habe ich gerade gesagt?«
    »Das ist bei Tag passiert?« Aus irgendeinem Grund schien das Ganze dadurch noch beunruhigender.
    »Die meisten Nachbarn waren ebenfalls auf der Beerdigung. Aber wir suchen noch nach jemandem, der etwas gesehen haben könnte.« Sie zuckte die Achseln. »Wir könnten Glück haben. Wer weiß.«
    Ich nicht, aber ich glaubte nicht, dass irgendetwas an dieser Sache uns Glück bringen würde. »Ich schätze, das weckt leise Zweifel an Halperns Schuld«, bemerkte ich.
    »Das tut es verdammt noch mal nicht«, erwiderte sie. »Das Arschloch ist schuldig.«
    »Aha. Du glaubst demnach, dass ein anderer die Köpfe gefunden hat und, äh …«
    »Verdammte Scheiße, ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Jemand muss ihm geholfen haben.«
    Ich schüttelte nur den Kopf. Das ergab absolut keinen Sinn, und wir wussten es beide. Jemand, der das komplizierte Ritual dieser beiden Morde ersonnen und ausgeführt hatte, musste es allein getan haben. Diese Akte waren so absolut intim, jeder winzige Schritt das Ausleben eines einzigartigen inneren Bedürfnisses, womit die Vorstellung zweier Personen, die dieselbe Vision teilten, völliger Unsinn war. Auf unheimliche

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