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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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kräftig wirkender Polizist mit rasiertem Schädel kam zu mir herüber, um mich in Empfang zu nehmen, und zeigte zur Rückseite des Gebäudes.
    Die Leiche lag in einem Gebüsch hinter der Galerie. Deborah sprach mit jemandem, der wie ein Student aussah, und Vince Masuoka kauerte neben dem linken Bein der Leiche und stocherte bedächtig mit einem Kugelschreiber in etwas am Knöchel herum. Die Leiche war von der Straße aus nicht zu sehen, aber selbst so konnte man nicht behaupten, sie wäre versteckt worden. Offensichtlich hatte man sie wie die beiden anderen geröstet, und sie war ebenso wie die ersten beiden zu einer steifen, feierlichen Haltung arrangiert, der Kopf ersetzt durch einen getöpferten Stierschädel. Und erneut wartete ich bei diesem Anblick reflexhaft auf eine Reaktion aus meinem Inneren. Doch hörte ich nichts außer dem tropischen Wind, der durch mein Hirn wehte. Ich war noch immer allein.
    Während ich dort so stand, in missmutige Gedanken versunken, kam Deborah in voller Lautstärke röhrend zu mir herüber. »Das hat ja gedauert«, schnarrte sie. »Wo bist du gewesen?«
    »In meinem Makramee-Kurs. Alles wie gehabt?«
    »Sieht so aus. Wie steht’s, Masuoka?«
    »Ich glaube, diesmal haben wir was«, verkündete Vince.
    »Wurde auch verdammt noch mal Zeit«, sagte Deborah.
    »Hier ist ein Fußkettchen. Aus Platin, deshalb ist es nicht geschmolzen.« Vince sah zu Deborah hoch und schenkte ihr sein schrecklich künstliches Lächeln. »Der Name Tammy ist eingraviert.«
    Deborah runzelte die Stirn und sah hinüber zum Seiteneingang der Galerie. Ein großer Mann im Leinenanzug mit Fliege stand dort mit einem der Polizisten und blickte beklommen zu Deborah hinüber. »Wer ist der Typ?«, fragte sie Vince.
    »Professor Keller. Lehrt Kunstgeschichte. Er hat die Leiche gefunden.«
    Mit noch immer gerunzelter Stirn erhob sich Deborah und winkte einem Polizisten, den Mann zu ihr zu bringen.
    »Professor …?«, grüßte Deborah.
    »Keller. Gus Keller«, stellte der Professor sich vor. Er war ein gutaussehender Mann Mitte sechzig mit einer Narbe auf der Wange, die aussah, als stammte sie aus einem Duell. Er schien beim Anblick der Leiche nicht gerade in Ohnmacht zu fallen.
    »Sie haben also die Leiche hier gefunden«, sagte Deborah.
    »Stimmt«, bestätigte er. »Ich bin hergekommen, um ein neues Ausstellungsstück zu begutachten – mesopotamische Kunst, sehr interessant –, und da habe ich sie hier im Gebüsch entdeckt.« Er runzelte die Stirn. »Ich schätze, das war vor ungefähr einer Stunde.«
    Deborah nickte, als ob sie all das schon wüsste, sogar den mesopotamischen Teil, ein Standardtrick der Polizei, der die Leute dazu bringen soll, immer neue Einzelheiten hinzuzufügen, insbesondere, wenn sie ein klein wenig schuldig sind. Er schien bei Keller nicht zu verfangen. Er stand einfach da und wartete auf die nächste Frage, und Deborah stand da und versuchte, sich eine einfallen zu lassen. Ich bin mit Recht stolz auf meine mühsam erworbenen sozialen Fähigkeiten, und ich wollte nicht, dass das Schweigen ungemütlich wurde, deshalb räusperte ich mich, und Keller sah mich an.
    »Was können Sie uns über den getöpferten Schädel sagen?«, fragte ich ihn. »Vom künstlerischen Standpunkt aus.«
    Deborah funkelte mich an, aber vielleicht war sie nur eifersüchtig, weil mir die Frage eingefallen war und nicht ihr.
    »Vom künstlerischen Standpunkt aus? Nicht viel«, antwortete Keller, während er den Schädel betrachtete, der neben der Leiche auf dem Boden lag. »Sieht aus, als wäre er in eine Form gegossen und dann in einem sehr primitiven Ofen gebrannt worden. Vielleicht sogar in einem großen Backofen. Aber historisch gesehen ist er wesentlich interessanter.«
    »Was meinen Sie mit interessant?«, blaffte Deborah ihn an. Er zuckte die Achseln.
    »Nun, er ist nicht perfekt«, sagte Keller, »doch hat jemand versucht, ein sehr altes stilisiertes Design neu zu erschaffen.«
    »Wie alt?«, fragte Deborah. Keller hob eine Augenbraue und zuckte die Achseln, als wollte er sagen, falsche Frage, antwortete jedoch.
    »Drei- bis viertausend Jahre alt«, präzisierte er.
    »Das ist sehr alt«, warf ich hilfsbereit ein, und beide sahen mich an, was mich auf den Gedanken brachte, dass ich etwas halbwegs Kluges anfügen sollte, deshalb sagte ich: »Und aus welchem Teil der Welt stammt es?«
    Keller nickte. Ich zählte wieder zu den Klugen. »Aus dem Nahen Osten«, erklärte er. »Wir kennen ein ähnliches Motiv

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