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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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schikanierte Franky einfiel.
    Angel zuckte die Achseln ohne aufzusehen. »Im Schlafzimmer«, sagte er. »Steckt einfach ein Fleischermesser drin. Der Kopf ist noch da.« Er klang ein wenig beleidigt, dass jemand sich die ganze Mühe gemacht hatte und dann den Kopf zurückließ, doch abgesehen davon schien er mir nichts mehr zu sagen zu haben, deshalb verließ ich ihn und ging zu meiner Schwester, die mittlerweile neben Camilla kauerte.
    »Guten Morgen, Debs«, wünschte ich mit einer Munterkeit, die ich nicht im Geringsten empfand, und ich war nicht der Einzige, denn sie sah nicht einmal auf.
    »Gottverdammt, Dexter«, blaffte sie. »Wenn du nichts wirklich Gutes für mich hast, bleib verdammt noch mal weg.«
    »Besonders gut ist es nicht«, sagte ich. »Doch der Typ im Schlafzimmer heißt Franky. Der hier ist Manny Borque, über den schon viele Zeitungen berichtet haben.«
    »Woher, zum Teufel, willst du das wissen?«, fragte sie.
    »Nun, das ist ein bisschen misslich«, gestand ich, »doch ich könnte einer der Letzten gewesen sein, die ihn lebend gesehen haben.«
    Sie richtete sich auf. »Wann?«, fragte sie.
    »Samstagmorgen. Gegen halb elf. Direkt hier.« Ich zeigte auf den Kaffeebecher, der noch immer auf dem Tisch stand. »Das sind meine Abdrücke.«
    Deborah starrte mich ungläubig an und schüttelte den Kopf. »Du hast den Typen
gekannt?
«, fragte sie. »Er war ein Freund von dir?«
    »Ich habe ihn als Caterer für meine Hochzeit angeheuert«, erläuterte ich. »Angeblich soll er sehr gut gewesen sein.«
    »Mhm«, sagte sie. »Und was hast du an einem Samstagmorgen hier gewollt?«
    »Er hatte die Preise erhöht. Ich wollte ihn runterhandeln.«
    Sie blickte sich in der Wohnung um und durch das Fenster auf die exklusive Aussicht. »Was wollte er berechnen?«, fragte sie.
    »Fünfhundert Dollar pro Gedeck«, antwortete ich.
    Ihr Kopf wirbelte herum, und sie starrte mich an. »Heilige Scheiße«, fluchte sie. »Wofür?«
    Ich zuckte die Achseln. »Das wollte er mir nicht verraten, und den Preis wollte er auch nicht senken.«
    »Fünfhundert Dollar für ein
Gedeck?
«
    »Das ist ein bisschen viel, nicht? Oder sollte ich sagen,
war?
«
    Ohne zu blinzeln kaute Deborah einen langen Moment auf ihrer Lippe, dann packte sie mich am Arm und zog mich von Camilla fort. Ich konnte noch einen kleinen Fuß aus der Küchentür ragen sehen, wo der teure Verblichene sein unzeitiges Ende gefunden hatte, dann führte Deborah mich weiter weg zum anderen Ende des Raums.
    »Dexter«, sagte sie, »schwör mir, dass du den Typen nicht umgebracht hast.«
    Wie bereits erwähnt, habe ich keine echten Gefühle. Ich habe lange und schwer daran gearbeitet, in allen möglichen Situationen so zu reagieren, wie menschliche Wesen reagieren würden – doch das hier traf mich unvorbereitet. Welcher Gesichtsausdruck ist korrekt, wenn man von der eigenen Schwester des Mordes bezichtigt wird? Schock? Zorn? Unglaube? Soweit ich wusste, stand das in keinem Lehrbuch.
    »Deborah«, sagte ich. Nicht wahnsinnig scharfsinnig, doch mir fiel nichts anderes ein.
    »Weil du von mir keinen Freifahrtschein bekommen wirst«, sagte sie. »Nicht für etwas wie das hier.«
    »Aber ich würde nie«, stammelte ich. »Das ist nicht …« Ich schüttelte den Kopf. Es schien einfach nicht fair. Erst verließ mich der Dunkle Passagier, und nun ließen mich meine Schwester und meine Geistesgegenwart anscheinend ebenfalls im Stich. Sämtliche Ratten schwammen davon, während das brave Schiff Dexter langsam unter den Wogen versank.
    Ich holte tief Luft und versuchte, die Mannschaft zum Lenzen zu organisieren. Deborah war die einzige Person auf Erden, die wusste, was ich in Wahrheit war, und obgleich sie noch immer dabei war, sich an diese Vorstellung zu gewöhnen, hatte ich geglaubt, dass sie die von Harry äußerst bedachtsam gezogenen Grenzen verstand und auch wusste, dass ich sie niemals überschreiten würde. Anscheinend hatte ich mich geirrt. »Deborah«, setzte ich an. »Warum sollte ich …«
    »Schluss mit dem Blödsinn«, fauchte sie. »Wir wissen beide, dass du es getan haben könntest. Du warst zum richtigen Zeitpunkt hier. Und ihm fünfzig Riesen nicht zahlen zu müssen ist ein ziemlich gutes Motiv. Entweder du, oder ich muss annehmen, dass ein Typ im Gefängnis es getan hat.«
    Da ich ein künstlicher Mensch bin, bewahre ich meist einen äußerst klaren Kopf, frei von Gefühlen. Doch es kam mir vor, als müsste ich versuchen, Treibsand zu durchschauen.

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