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Komm

Titel: Komm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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er den Preis etwa nicht bezahlt? Für die Buddenbrooks ? Für seine Familie?
    Doch, und durch den Preis, den er bezahlen musste, wurde er klüger.
    Schweig, Petra Vinter!
     
    Wenn sich der Künstler in Bezug auf die äußere Wirklichkeit klug oder ethisch korrekt verhalten muss, leidet darunter die Tiefe seiner Kunst. Er kann nicht zum Kern des Seins vordringen, das seine Kunst uns vermitteln soll. Er bleibt außen vor, und damit kommt es zu keiner Perspektive. Er zeigt uns nur, was wir ohnehin schon wissen.
     
    Wie lange hat es gedauert?
    Er drückt auf die Lautsprechertaste und wählt seine eigene Nummer. Es ist dreiundzwanzig Uhr, und wenn seine Frau nicht bald zu Hause ist, schafft sie es auch nicht mehr. Der Wind hat sich ein wenig gelegt, aber der Schnee fällt so dicht wie nie. Auf der Nachrichtenleiste stand schon vor einer halben Stunde, dass keine Züge und Busse mehr verkehren. In der Taxizentrale lautet die automatische Antwort, alle Linien seien besetzt. Sogar auf der Sondernummer, die er hat. Krankenwagen kommen nur im Katastrophenfall. Er ist keiner.
    Seine Frau nimmt nicht ab.
    Er ist seltsam erleichtert. Wie bei einer Müdigkeit im Körper, die nicht überwunden werden muss.
     
    Wie gut hast du seinen Faustus gelesen …?
    Das Bücherregal füllt die ganze Rückwand mit Glas und Wörtern. Er geht zum Regal, findet das Buch und schlägt auf.
    »Dass er so viele Liebesabenteuer hätte haben können, wie er wollte, schien ihm zu genügen, und es war, als scheute er vor jeder Bindung ans Wirkliche zurück, weil er einen Raub am Potenziellen darin sah. Das Potenzielle war seine Domäne, der unendliche Raum des Möglichen sein Königreich – darin und soweit war er wirklich ein Dichter.«
    War sich Thomas Mann darüber im Klaren, dass er selbst einen faustischen Handel eingegangen ist?
    Hat Petra Vinter das gemeint?
    Hat Mann das gemeint?
     
    Der Künstler kann einen faustischen Handel abschließen, mit seinem Leben als Einsatz, aber die Frage ist, ob es nicht einen höheren Preis gibt als den, welchen Faust dem Teufel bezahlen musste? Die Frage ist, ob der Preis, den die Kunst bezahlt, höher ist?
     
    Er schlägt das Manuskript an einer zufälligen Stelle auf, Seite dreihundertsiebenundzwanzig.
    Er erträgt es nicht. Als ob die Wörter seine Augen mit Ekel erfüllten. Und das ihm, der normalerweise alles Mögliche lesen kann.
    Jedes Buch, das sein Publikum hat, hat seine Berechtigung.
    Als ob das nicht reichte.
     
    Was wäre, wenn er den Preis selber bezahlte und die Konsequenzen trüge?
     
    Wo ist Lula heute?
    Wo ist Petra Vinter?
     
    Er steht auf und geht zum Fenster, Frode Jørgensen liegt nördlich der Hauptstadt begraben. Er schließt die Augen, während er die Gardine zur Seite zieht, macht die Augen wieder auf: Die Reihe der Fußspuren ist zu einer Kette offener Muschelschalen geworden. Der Wind ist abgeflaut, so dass der Schnee senkrecht in die Schalen fällt, still und unaufhörlich.
    Fünfzig Zentimeter. Mindestens.
    Kein Zweifel, heute Nacht kommt er nicht mehr nach Hause.
     
    Ist der Künstler ein kapitalistischer Ausbeuter, der die Menschen seiner Umgebung zu unwissentlichen Sklavenarbeitern für seine Schöpfungen macht? Der seine Erzählungen wie ein Blutegel aus den Lebensadern anderer saugt? Der aus dem Mehrwert, den die hart errungenen Lebenserfahrungen der Menschen seiner Umgebung geschaffen haben, seinen Profit schlägt?
    Die Frage ist, ob das notwendig ist.
    Was wurde aus der Phantasie?
     
    Zum Teufel mit Petra Vinter!
    Er löscht den letzten Eintrag.

XXVII
    E s hat fast aufgehört zu schneien. Im Mitternachtslicht sind ihre Spuren bloß Schatten wie von einem Vogel, der zu dicht am Boden flog und den Schneeteppich mit den Flügeln berührte. Plötzlich ging ihm auf, dass Petra Vinter schmetterlingsleicht ist, aber das ist nicht wahr. Wer hat eigentlich geschrieben:
     
    Ich bin dein streunender Gedanke
    Ich bin das schwindelige Gras
    Ich bin das Lachen des Wassers,
    eine Stiefelspitze am Strand
    Ich bin des Morgentaues Kühnheit
    und des Abends Hoffnungsschleier
     
    Ich bin die Bedingung deiner Lippen
    der Schnee in deiner Seele
    Ich bin alles was flieht
    und alles was du kriegst.
     
     
     
    Und so ist das Leben.
    Idiot!
    Wir können nicht alle wie Petra Vinter sein. Wie sähe denn dann die Welt aus?
    Petra Vinter ist Flucht.
    Idiot.
     
    Petra Vinter ist ein Idiot.

XXVIII
    D ie Wirklichkeit ist hier. Sie liegt auf seinem Schreibtisch.
    Der Roman des Autors heißt Die

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