Komm
den Roman schreibt?
Wenn er den Mord nur beging, um ihn in einem Roman zu schildern, durch den er zum Autor werden konnte?
Was aber, wenn es geschehen ist?
Der Mord ist begangen. Der Verbrecher hat seine Strafe erhalten. Das Buch ist geschrieben.
Was ist, wenn der Verleger es weiß?
Wenn der Leser es weiß?
Haben sie eine Verantwortung, sollen sie das Kunstwerk meiden, um nicht mitschuldig an dem Verbrechen zu werden? Wo verläuft die Grenze?
Wenn die Kundin und Trägerin eines Pelzes für den Tod des Tieres mitverantwortlich ist, haben Vermittler und Betrachter eines Kunstwerks dann nicht auch ihren Anteil an dem, was zu seiner Erschaffung geführt hat?
Wo verläuft die Grenze?
Er sucht nach einer Stelle im Roman des Autors, die er schon einmal gesehen zu haben meint. Es war gegen Ende, nach der Stimmenauszählung. Es war irgendwo ausführlich beschrieben. Aber war es vor oder nach Einsetzung des neuen Präsidenten von Morenzao?
Es ging um Verantwortung.
Aber waren es die gleichen Worte?
Was, wenn der Roman gut ist?
Er wählt noch einmal Petra Vinters Nummer. Legt auf, bevor am anderen Ende der Ton erklingt. Stattdessen ruft er seine Frau an.
»Hat der Vermittler die Kunst zu verantworten, die er vermittelt?«
»Wovon redest du eigentlich?«, fragt sie.
»Schau mal, der Künstler hat natürlich eine Verantwortung. Nicht als Künstler, sondern als Mensch. Dafür, wie er zu seiner Kunst kommt. Ob es eigene Ideen sind, gestohlene Ideen. Leichen im Keller, wenn du willst. Aber als Vermittler? Als Betrachter? Hat man da auch eine Verantwortung?«
»Ich finde, du solltest dich auf den Weg machen«, sagt sie. »Wir sind beim Essen. Das ist deine Verantwortung.«
Idiot.
Was ist die Verantwortung des Betrachters im Quadrat?
Des Vermittlers?
XXIV
D er Parteivorsitzende ist da. Er weiß es. Er will nicht daran denken. Es hat einige Jahre gedauert, glaubt er. Er kann nicht mehr daran denken. Er hebt den Hörer ab, um wieder Veras Nummer zu wählen, tut es dann doch nicht.
Er ist merkwürdig lustlos.
Nicht nur in Bezug auf Vera.
Zweiundzwanzig Uhr einundvierzig. Sie müssen jetzt beim Kaffee sein. Es kann nicht lange dauern, bis sie gezwungen sind heimzufahren, dann wird seine Frau zu Hause sein, wenn er kommt. Autos können bei dem Wetter nicht mehr lange fahren. Sie geht sicher gleich ins Bett. Dann kommt er in ein stilles Haus.
Er schaut zum Fenster hinüber und auf den Schnee, der nach wie vor vom Himmel strömt.
Wenn er es schafft, nach Hause zu kommen.
Er ist müde.
Er hat alles unendlich satt.
»Das Quadrat von dreiundzwanzig ist fünfhundertneunundzwanzig«, sagt Petra Vinter.
Das eine Leid rechtfertigt nicht das andere.
In der Handlung des Einzelnen liegt der Keim zu den Handlungen vieler.
Was andere einem antun, kann man überleben. Nicht, was man anderen antut.
Du hast die Wahl.
Er bettet das Gesicht in die Hände.
Sie haben auf ihn unter den Bäumen an der Ecke des offenen Bereichs gewartet, den alle damals »das Feld« nannten. Sie waren zu viert. Zwei Klassen über ihm. Seitdem hat er nicht mehr so viel Schnee fallen sehen wie heute. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, verprügelt zu werden, eine ist, Schnee unter die Klamotten gestopft zu kriegen, in die Ohren, die Nase, den Mund und schließlich so tief im Schnee eingegraben zu werden, dass man von selber nicht mehr rauskommt. Da kam eine Frau mit einem Hund. Er schrie, sie stopften ihm nur noch mehr Schnee in den Mund. Die Frau ging mit dem Hund weiter.
Unterschlagung ist eine harte Anklage, auch wenn nie ein Beweis dafür erbracht wurde.
Frode Jørgensen verlor seine Arbeit und trank sich zu Tode.
Nicht zu reden ist kein Verbrechen.
Was würde er an Petra Vinters Stelle tun?
Den Autor bitten, die relevanten Passagen zu streichen?
Und wenn es zu viele sind?
Oder wenn der Autor nein sagt?
Den Verlag bitten, die Veröffentlichung zu unterbinden?
Und wenn der Verlag nein sagt?
Was würde er dann an Petra Vinters Stelle tun?
Was hätte er an Frode Jørgensens Stelle getan?
Das Brüllen beginnt in seinem Bauch und dringt mit dröhnendem Ungestüm aus dem Mund in derselben Sekunde, in der die erste Träne zwischen das blankgescheuerte grüne Leder und die stumpfgescheuerte Kirschholzkante des Schreibtischs tropft.
XXV
E s ist dunkel im Korridor, und alles ist still.
Er kennt diese Flure seit zwanzig Jahren, doch heute Nacht sind sie anders. Das
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