Kommissar Katzorke: Süße Schrippen (German Edition)
aufgewachsen, hatte sie oft die Grenzen der jeweils anderen Konventionen gesprengt. Mal die türkischen, mal die deutschen. Sie kannte die bestürzten Gesichter schon.
„ Scheiß drauf!“
Hauptsache dieser fürchterliche Krampf am Arbeitsplatz war endlich gelöst.
Müller, andauernd kauend, verließ die Teeküche.
Kaum war er draußen, wurde es richtig nett. Alle plauderten drauflos, wie sie es ihnen nicht zugetraut hatte. Fast wie früher auf dem Schulhof.
„ Woran arbeitest Du zurzeit?“
Stoppelkopfs Frage erwischte die nun arglose Kommissarin auf dem falschen Fuß. Konnte der Kerl nicht einmal seine Klappe halten?
„ Peter Müller hat mich angewiesen, das Einschüchterungspotential in der Szene aufrecht zu erhalten. Der Vorgabe folge ich.“
„ Und wie?“
Sie ließ einige Sekunden lang einen forschenden Blick über die Gesichter schweifen, aber kaum einer schien sich für ihre Antwort zu interessieren. Nur Stoppelkopf starrte ihr auf den Mund.
„ Erst mal den Überblick verschaffen. Aktuelle Kriminalitätsrate, Prognosen für die Zukunft. Ich arbeite an einer Expertise.“
Stoppelkopf nickte.
„ Aller Anfang ist schwer. Genauso wie Zukunftsprognosen.“
„ Gefährdete Jugendliche suchen sich falsche Vorbilder.“
Er starrte sie verständnislos an.
„ Die sie auf die schiefe Bahn bringen. Wo die Karrieren hinführen, sehen wir ja dann. Oder nicht?“
Er verschränkte seine Arme, lehnte den Kopf zurück.
„ Wenn wir sie am Kragen haben, schicken die Richter die meisten einfach wieder nach Hause. Darüber kann jeder Polizist nur verzweifeln.“
„ Sicher, eben eine Sisyphusarbeit.“
Stoppelkopf lächelte mitleidig. Idealisten hielt er für praxisfern.
„ Juristenkacke!“
Er sah auf einmal wütend aus.
„ Wir sollten die Ursachen mit einbeziehen. Ansonsten füllen wir bloß die Gefängnisse.“
Ein älterer Kollege, der mitgehört hatte, lächelte milde.
„ Na, dann viel Erfolg!“
Mit schiefem Grinsen ging er hinaus.
Fatma wusste selbst, dass sie mit ihrem Bekenntnis zu einer differenzierenden Strafverfolgung nicht überall ankam. Nach wenigen Tagen im Amt konnte allerdings auch keiner von ihr erwarten, dass sie bereits Fahndungsplakate aufhängen ließ.
„ Die älteren Kollegen mögen so etwas gar nicht hören. Dreimal auf frischer Tat ertappt, dreimal am nächsten Morgen auf freiem Fuß. Das ist zermürbend.“
Immerhin war ihre provozierende Sichtweise dafür gut, in den kommenden Tagen und Wochen zu erfahren, welcher ihrer Kollegen ähnlicher Meinung war.
Vielleicht würde der eine oder andere sogar an ihrer Bürotür anklopfen, um ihr Hinweise zu geben.
Freund und Feind sortierten sich so von selbst.
Jedenfalls konnte ihr niemand mehr vorwerfen, dass sie nicht zum Teamwork aufgerufen hätte. Jeder, der Informationen besaß und sie nicht an sie weiterleitete, behinderte ihre Arbeit. Hinter dieser makellosen Fassade aus naivem Eifer konnte sie weiter ungestört über Dimitri recherchieren.
Abends in ihrer Wohnung kramte sie verstaubte Schuhkartons mit Bündeln von alten Fotos aus ihrer Schulzeit hervor. Auf Klassenfotos sah Dimitris Gesicht unverbraucht und sympathisch aus.
„ Ohne dieses schreckliche Tattoo!“
Fatma ekelte sich vor Widerwillen. Was musste diesem Jungen bloß widerfahren sein, dass er sich so dermaßen entstellt hatte? Wieso hatte er seine Anmut, seine Chancen, seine Jugend auf dem Altar eines vorübergehenden Modetrends geopfert?
Sie betrachtete traurig das Schulfoto und jenes mit Dimitris Vogelspinnen Gesicht.
„ Armer Junge!“
Sensible, neugierige, hübsche Augen auf der einen Seite. Starrer, leerer, abwesender Blick unter dem Konterfei einer Vogelspinne auf der anderen Seite. „Nur sechs oder sieben Jahre dazwischen!“
Fatma war sich sicher, dieser junge Mann musste innerlich die Hölle erlebt haben. Hoffentlich hatte er sich noch etwas von dem bewahrt, wie sie ihn kannte!
„ Berufliche und private Interessen niemals miteinander vermischen!“
Dieser Leitsatz ihres Ausbilders war eines der wichtigsten Gebote ihres Berufsstands. Sie hatte ihn solange auswendig gelernt, bis er wie eine mathematische Formel klang.
„ Keine privaten Emotionen!“
Es sollte so sein wie gelernt. Allein das wache Interesse des ausgebildeten Kriminologen befasste sich mit dieser Person. Nur allein aus einem Grund: weil sie sich beruflich für menschliche Abgründe interessierte.
„ Keine Frau wird sich je in dieses Monster verlieben. Armer
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