Kommissar Katzorke: Süße Schrippen (German Edition)
Augen haben, mit allen Personen und Details in mir lebendig werden lassen! Wie eine Fotografie aus Worten, das Sie dort aufnehmen und an meine Adresse senden.“
Der weißhaarige Alte war wieder beim „Sie“ gelandet und redete eindringlich auf Sandor ein.
„ Nehmen Sie mich mit! In ihr Leben. Als ihren Begleiter.“
„ Geht klar!“
Sandor verdrehte die Augen. Wenn er normalerweise unterwegs war, merkte er oft gar nicht, was um ihn herum geschah. Weil er seine Umgebung ja in und auswendig kannte. Aus wie vielen Einzelteilen sich das Ganze zusammensetzt, war einfach nur anstrengend.
Also beschrieb er die hohen Bäume im Körnerpark.
Sandor durfte nichts auslassen, denn ansonsten entstanden dunkle Flecken in Katzorkes imaginiertem Panorama.
Er lernte an diesem Tag, wie er sich in seiner Schilderung sorgfältig von Planquadrat zu Planquadrat arbeiten musste, damit bei seinem Empfänger ein wirklichkeitsgetreues Bild entstand.
„ Wie sehen die Blätter von diesem „Grünzeug“ denn aus? Wie hoch ist es gewachsen? Sind es Blumen oder Sträucher, gibt es Blüten daran?“
Die Beschreibung des Parks war besonders schwer, weil Sandor sich für Botanik nicht interessierte.
„ Herr Katzorke, es handelt sich bei den Büschen um Sträucher, ungefähr eineinhalb Meter hoch, mit länglichen Blättern und rosafarbenen Blüten. Auf der Terrasse links von mir stehen außerdem noch drei schwarze Plastikblumenkübel mit ähnlichen Pflanzen.“
Er zögerte.
„ Nein, ich glaube sogar, es ist dieselbe Sorte. Nur die Blüten sind heller. Die stammen wohl irgendwo her aus dem Süden und wachsen bestimmt nicht freiwillig hier. Präzise gesagt: Ein leichter Wind bewegt ihre Blätter.“
Tief durchatmen! Sandor hörte Katzorke am anderen Ende lachen. Zumindest amüsierten seine Beschreibungen ihn.
Oder lachte er mich aus? Der Gedanke störte ihn verständlicherweise.
Manchmal beschrieb Sandor Details im Raum mit falschen Koordinaten, so dass Katzorke sie in seiner Imagination verkehrt platzierte.
Sobald Sandor dann neue Details am selben Ort beschrieb, hörte er das Seufzen seines Zuhörers durchs Telefon. Sein Chef verurteilte nicht, aber er seufzte. Was mindestens genauso niederschmetternd war.
„ Oh je, da habe ich doch schon etwas anderes eingefügt. Oh je, wohin nun damit?“
Sandor realisierte bald, wie starrköpfig der Bettlägerige war. Er hatte sogar die Angewohnheit zu behaupten, dass er diesen oder jenen Ort von früher her genauestens kannte. Um Sandor anschließend penibel zu korrigieren. Obwohl der ja genau vor Augen hatte, wie Katzorkes Gedächtnis den armen Mann täuschte.
Sandor musste auf ihn eingehen und seine Version verteidigen, bis Katzorke niedergeschmettert seinen Fehler zugab. Er merkte, dass der Naturalismus nicht zwangsläufig sein Ding war. Sandor betrachtete die Welt eben so, wie er sie sah. Und nicht anders.
„ Ich muss Sie enttäuschen, Herr Katzorke. Ihre Erinnerung spielt ihnen vielleicht doch einen Streich.“
„ Wirklich? Oh je!“
Wieder dieses Seufzen in Sandors Ohr. Ob Katzorke ihn überhaupt behalten wollte?
„ Langsam gewöhne ich mich daran, wie Sie die Welt beschrieben haben möchten.“
Er wollte ihn wenigstens hoffen lassen, dass er es besser konnte. Vielleicht wollte der Weißhaarige ihn nur testen, wie exakt sein Scout arbeitete? Ob er etwa aus Bequemlichkeit etwas wegließ? Damit wären die bezahlten Augen fast wertlos für den nahezu Erblindeten.
Katzorke schlug einen Gang durch die Kunstgalerie vor.
Sandor war erfreut und begab sich in den Ausstellungsraum.
An den Wänden hingen Gemälde einer Malerin. Ihr Name bezeugte ihre adelige Herkunft. Und ihr adliger Kunstverstand zeigte ihre kritische Sicht auf die internationale Politprominenz in ihren Gemälden.
Sandor blickte von Bild zu Bild. Präsidenten und Minister, entstellt durch absichtlich negative Zeichnung, grimassierend und mit feixenden Gesichtern. Ein Reigen der Mächtigen in verschwörerischer Kungelei.
Sandor beschrieb die Bilder präzise. Der kleine Bildausschnitt lag ihm offenbar mehr als das Panorama. Auch regte das Artifizielle in den Bildern seine Lust an der Betrachtung mehr an als die alltägliche Szenerie der Straße.
Er hörte keinen einzigen Seufzer von seinem Auftraggeber. Im Gegenteil, er spürte, wie aufmerksam Katzorke ihm zuhörte.
„ Bravo, mein Lieber! Das war sehr gut beschrieben. Ich kann mir die Bilder dieser adligen Malerin perfekt vorstellen. Und nicht nur ihre Bilder.
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