Kommissar Morry - Das Phantom
seinem ganzen Gewicht wollte sich Rob Austick auf die Bordwand werfen. Im Fallen jedoch drehte er seinen Körper noch so, daß er nicht, wie zuerst beabsichtigt, gegen die Wand prallte, sondern lang ins Boot hinschlug. Zuvor jedoch rammte sein harter Schädel Emest Pookfields Nierengegend, und ehe dieser einen Schmerzensschrei ausstoßen konnte, legte sich seine behaarte Pranke auf dessen zum Schrei geöffnete Lippen.
„Shut up, du Weichling! Halt' jetzt nur die Klappe!" zischte er den Gemarterten an. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, und in sein Gesicht trat ein diabolisches Grinsen. Obwohl er nur schwach die Umrisse seiner Partner erkennen konnte, fühlte er mehr als er sah, daß sich auch deren Gesichtern die Spannung mehr und mehr löste.
„Die Sonnys scheinen zu schlafen", meinte Jean Hone prahlerisch kurze Zeit später, nachdem der gefahrbringende Scheinwerfer unmittelbar vor ihrem Außenbordler halt gemacht hatte und dann zur an* deren Seite herübergeschwenkt war, um nicht noch einmal in gefährliche Nähe ihres Bootes zu kommen. Langsam aber stetig verstummte das Tuckern des Polizeibootes, und nur der milchige graue Nebel blieb zurück. Als nur noch das Schlagen der Wellen an der Holzverschalung des Bootes zu hören war, griff Rob Austick schweigsam in die Riemen und vergrößerte, ohne viele Geräusche zu verursachen, mehr und mehr den Abstand zwischen ihnen und dem Polizeifahrzeug. Den Motor anzuwerfen, getraute sich Rob Austick immer noch nicht. Man konnte nicht wissen, welche unliebsame Gesellschaft diese Geräusche anlocken konnten. Verbissen ruderte er gegen den Wellengang an. Seine Muskeln schienen aus Stahl zu sein, denn nach weiteren fünfzehn Minuten machten sich immer noch keine Ermüdungserscheinungen bei ihm bemerkbar, und es war wirklich kein Vergnügen, das schaukelnde Boot in der richtigen Richtung zu halten.
Langsam kehrte auch in den beiden anderen Insassen das Selbstvertrauen zurück.
„Der verdammte Nebel ist ja für unsere Arbeit ganz gut, aber allmählich geht er mir auf die Nerven", unterbrach der bisher schweigsame und stets wortkarge Ernest Pookfield die Stille.
„Immer noch besser, der Nebel macht dich nervös, als mit der Ware an Bord den herumschwirrenden Polizeibooten in die Arme laufen", gab der Rudernde barsch zurück.
„Schon gut, Rob, und laß mich dran! — Oder wollen wir das letzte Stück mit Motorkraft zurücklegen? Ich denke, wir haben den India Dock Pier hinter uns, und bis vor Coaling Island haben wir nichts mehr zu befürchten."
Noch dreimal tauchte Rob Austick die Ruder ein, dann schien er einzusehen, daß Pookfield nicht ganz unrecht hatte. Wenig später tuckerte das Boot an dem unbewohnten, nordöstlichen Teil des Limehouse Reach dahin und wurde hinter dem Lime Kiln Dock behutsam an Land gesetzt, nachdem die nächtliche Fahrt ohne weitere Zwischenfälle verlaufen war. Finster und grau gähnte ihnen die trostlose Hafengegend des Stadtteils Limehouse entgegen. Hier unten am Fluß, wo alles geheimnisvoll und trübe aussah, verlief sich niemals ein Mensch, der sich bei Tageslicht auf offener Straße hätte sehen lassen können.
Nur einen Menschen gab es hier, in der Gegend, dem es nichts auszumachen schien, hier zwischen Docks und Werften mit all ihrem schmutzigen Unrat, den sie ständig ausspien, zu wohnen: Trusty Godophin, ein Mensch, dessen Gestalt leicht gebeugt, dessen Gesicht von tausend Falten und Fältlein durchgraben war und der zwei Augen besaß, die ewig zu. schlafen schienen. — Obwohl er bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck eines gutmütigen, alten Trottels hinterließ, wußten er und einige dunkle Elemente, daß sein Aussehen nur eine Täuschung war. — Der Zahn der Zeit hatte gewaltig an seinem alleinstehenden, seit Jahrzehnten von ihm bewohnten düsteren Haus hinter dem Lime Kiln Dock genagt, aber ihn hatte man vergessen. Genauso vergessen, wie Trusty Godophin sein eigenes Geburtsjahr vergessen hatte. Er zählte schon seit langem nicht mehr Jahre und Monate, die an ihm vorübergingen, als seien sie nur kurze Wochen. Wenn der alte Trusty Godophin nicht in einer der schummrigen, zweifelhaften Hafenkneipen von Limehouse oder Poplar billigen Fusel trank, konnte man ihn in seinem Hause antreffen. Manchmal sogar recht nüchtern, und dann konnte er gewissen Leuten sehr nützlich sein. — So auch in dieser Nacht.
Fluchend näherten sich Schritte seiner Behausung, polterten wenig später über morsche Dielenbretter
Weitere Kostenlose Bücher