Kommissar Morry - Das Phantom
Mannes.
„Eh, Trusty!" stieß er über seine trockenen Lippen hervor. — Da durchbrach ein starker Lichtkegel die Nacht und erhellte die sich gegenüberstehenden Gangster.
„Waffe weg und Hände hoch!" hörte Rob Austick die metallene Stimme seines Retters. Während er sich zur Seite wegdrehte, sauste der Stabdolch des Phantoms nieder. Ein wahnsinniger Schmerz fraß sich in seine rechte Schulter ein. Ihm wurde es schwarz vor den Augen ...
Die Waffe des Phantoms aber hatte zum ersten Male ihr Ziel verfehlt. Nicht in Austicks Schädel war der Dolch eingedrungen, sondern nur die rechte Schulter wurde von der Dreikantspitze der Waffe durchbohrt. Von der Wucht des Schlages brach der Riese in die Knie. Bevor er lang auf sein Gesicht fiel, um für einige Zeit im Land der Träume zu verweilen, sah er, schon mehr dm Unterbewußtsein schwebend, zwei grelle Blitze hinter der Lichtquelle aufzucken. — Was hiernach geschah, registrierte sein Gehirn nicht mehr. Er sah nicht, daß das Phantom seine Arme in die Luft warf und röchelnd auf ihn fiel... Es war kein Leben mehr in dem vielfachen Mörder, als Kommissar Morry, assistiert von seinem Faktotum, den Körper des Phantoms auf den Rücken rollte. Mit angehaltenem Atem verfolgte er Morrys Hände, die sich an dem Gesicht des Toten zu schaffen machten. Jetzt würde es sich herausstellen, ob Kommissar Morrys Vermutungen richtig waren? — Kam noch ein weiteres Opfer hinzu? —
Ein paarmal zupften die Finger des Kommissars am Haaransatz des Phantoms herum. — Mit einem Ruck riß dann etwas von der Gesichtshaut des Toten. Was er dem erstaunten Brookers entgegenhielt, war das zweite Gesicht des Phantoms. Eine hauchdünne, die Gesichtsfarbe des Trägers durchlassende Gummimaske mit tausend Fältchen. Das bis aufs kleinste nachgebildete Gesicht Trusty Godophins, sein erstes Londoner Opfer. — Ein wahres Meisterstück einer menschlichen Bestie hielt Brookers in seinen Händen. Er blickte auf den Schöpfer dieses Werkes nieder und konnte es nicht begreifen, daß dieser Mann das Phantom in der schwarzen Pelerine war. Durch seine und Kommissar Morrys Hand hatte diesen Mörder die irdische Gerechtigkeit ereilt. Sie hatten schießen müssen, um einen anderen Menschen vor der sicheren Vernichtung zu bewahren. Wenn dieser andere auch ebenfalls ein Gangster, ein brutaler Mensch war, der nicht danach fragte, wenn er heimlich viel Elend mit seinem Rauschgifthandel unter die Menschheit verstreute, so verlangte es das Gesetz, daß er vor einem noch Gemeineren beschützt werden mußte. Notwehr hieß wohl dieser Paragraph des Gesetzbuches ...
Der, der nun steif auf der Erde lag, war kein anderer als — Captain Smiths!
Wie konnte das sein? — Wenig später sollte Brookers es erfahren! — Durch die Schüsse waren die restlichen Yard-men an den Schauplatz des Geschehens herangelockt worden. Sie waren nicht weniger perplex, in dem exaltierten Captain Smiths den langgesuchten Mörder zu sehen. So gespannt sie auch waren, die Geschichte des Phantoms zu erfahren, so hart waren sie gegen ihre Neugierde. Kein Laut kam über ihre Lippen. Stumm kamen sie den Anordnungen des Kommissars nach — und so fuhren schon wenige Minuten nach diesen aufregenden Ereignissen am Lime Kiln Dock fünf Fahr* zeuge dem Hauptquartier zu. Zwischen den drei Personenkraftwagen fuhren zwei weiße Krankenwagen, von denen der eine den verletzten Rob Austick in das Gefängnishospital brachte, wogegen der andere das tote Phantom als unheimliche Fracht beförderte. Verkrampft hielt Broobers das Steuer des Dienstwagens umspannt. Seine Augen waren unablässig auf den vor ihm fahrenden Krankenwagen gerichtet. Seine Gedanken beschäftigten sich mit dem in diesem Wagen befindlichen, zur Strecke gebrachten Mörder.
„Hier, Brookers, rauchen Sie sich eine Zigarette", vernahm er die Stimme des neben ihm sitzenden Kornmissars.
Nachdem die Zigaretten glühten, konnte er seinen Wissensdurst nicht länger unterdrücken.
„Sehen Sie, Brookers", begann Kommissar Morry, den Lebensweg des brutalen Mörders zu rekonstruieren. „Wir haben lange im Dunkel herumtappen müssen, weil wir es mit einem Menschen zu tun hatten, der in zweifacher Hinsicht ein Phänomen war. Einmal war er ein Meister der Verwandlungskunst, wie es wohl keinen zweiten mehr gibt. Nicht, daß er unter der Maske des alten Godophins die Leute von Limehouse zu täuschen wußte und somit über jeden Schritt der Rauschgiftgangster genauestens im Bilde war. Er wußte über
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