Kommissar Morry - Der Tod war schneller
auf, rief eine Ablösung herbei und marschierte gehorsam neben Mrs. Rochester aus dem Revier.
„Am besten wäre es, wenn Sie die ganze Nacht bei uns blieben", stotterte die rundliche Frau aufgeregt. „Wir fürchten uns, mein Mann und ich. Wir kommen nicht mehr zur Ruhe. Seit diese ewigen Morde in der Nachbarschaft passieren . . ."
„Seien Sie beruhigt, Madam", sagte der Sergeant höflich. „Wir werden tun, was in unserer Macht steht."
Sie erreichten das Milchgeschäft am Pavement. Der Laden lag dunkel, auch die Fenster der Wohnung. Die Scheiben des Schlafzimmers gähnten schwarz in die Nacht. Zwei Flügel standen halb offen.
„Das verstehe ich nicht", murmelte Mrs. Rochester unruhig. „Warum hat Clement denn kein Licht brennen? Er sollte doch aufstehen. Ich sagte ihm doch, daß die Polizei ins Haus kommt."
Von einer seltsamen Angst getrieben, lief sie keuchend vor dem Sergeanten her. Ihr Abstand wurde größer. Sie war schon um einige Meter voraus. Sie erreichte die Haustür und hastete ungeduldig die drei Stufen empor. Sie lief durch den Korridor und stürmte in die Wohnung. Besorgt und ängstlich riß sie die Tür des Schlafzimmers auf. Ihr erster Griff galt dem Lichtschalter. Es wurde hell im Raum. Das Licht fiel weiß auf die zerwühlten Betten. Beide Lagerstätten waren leer. Clement war also aufgestanden. Sie wußte es doch, daß sie sich auf ihn verlassen konnte. Aber wo war er denn? Wo hielt er sich auf? Florence machte ein paar Schritte durch das Zimmer. Sie näherte sich dem Fenster. Da sah sie ihn plötzlich liegen. Unmittelbar vor dem Spiegelglas des großen Schrankes. Er hatte den Kopf in den Armen vergraben. Sein Körper war starr und lang ausgestreckt. Seine linke Gesichtshälfte war dick mit Blut verkrustet. Aus der Schläfe sickerte noch immer klebrige Nässe. Mrs. Rochester stand da wie erstarrt. Sie schaute mit leeren Blicken auf die Tür, durch die eben der Sergeant eintrat. Sie sah, daß er zu ihr herkam. Aber sie konnte kein Wort sprechen. Sie deutete nur stumm auf den Toten.
„Mein Gott, Mrs. Rochester", stammelte der Sergeant verstört. „Ist das Ihr Mann?"
Die schweigsame Frau nickte nur. Welch eine törichte Frage. Wer sollte es denn sonst sein als Clement. Sie hatte es ja geahnt. Sie hatte fast den ganzen Herweg mit einer entsetzlichen Überraschung gerechnet. Nun war es soweit.
„Bleiben Sie hier, Madam", rief der Sergeant atemlos. „Ich läute die Mordkommission an. Auch Kommissar Morry wird kommen. Es dauert nicht lange. Vielleicht gehen Sie einstweilen in einen anderen Raum."
Mrs. Rochester blieb stehen, wo sie war. Sie beugte sich nieder. Ihre Finger streichelten die leblosen Hände des Toten, die ein ganzes Leben lang so gut zu ihr gewesen waren und die sie behutsam durch alle Sorgen des Alltags geführt hatten. Jetzt waren diese Hände starr. Sie würden nie mehr auf dem Ladentisch liegen.
Schluchzend ging Florence Rochester in die Küche hinaus. Sie kauerte sich auf einen Schemel nieder und starrte mit gläsernen Blicken ins Leere. Ständig horchte sie ins Schlafzimmer hinüber, als wäre Clement nur krank und würde jederzeit nach ihr rufen. Aber es blieb still in der Wohnung. Der Tote brauchte sie nicht mehr. Er war schon weit von ihr entfernt. Als die Mordkommission eintraf, saß Mrs. Rochester noch immer regungslos auf ihrem Schemel. Sie hörte, daß sich die Beamten sofort in das Schlafzimmer begaben. Nur einer kam zu ihr herein. Es war Kommissar Morry.
Er nahm den Hut ab. Er murmelte ein paar tröstliche Worte und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
„Ich weiß, daß ich Sie jetzt nicht mit Fragen quälen dürfte, Mrs. Rochester", sagte er leise. „Aber Sie müssen die Sorgen der Polizei verstehen. Wir sind seit Wochen hinter dem Mörder her, dem nun auch. Ihr Mann zum Opfer fiel. Helfen Sie uns bitte, dieses Scheusal zu finden. Sagen Sie mir alles, was Sie wissen, Mrs. Rochester. Ich bin Ihnen dankbar für jedes Wort."
Die verhärmte Frau richtete sich auf. Ihre Energie, die sich hinter dem Ladentisch so oft bewährt hatte, gewann wieder die Oberhand.
„Fragen Sie, Kommissar", sagte sie gefaßt. „Ich werde Ihnen alles erzählen."
Sie berichtete, daß man bereits Anfang dieser Woche einmal in ihre Wohnung und in ihren Laden eingebrochen hatte.
„Das weiß ich bereits", murmelte Morry. „Die Ladenkasse wurde völlig ausgeraubt, nicht wahr? Auch Ihre Ersparnisse, die in einer kleinen Schatulle lagen, haben die Diebe mitgenommen. Der eine der
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