Kommissar Morry - Der Tod war schneller
Wohnung. Da endlich beschloß Morry zu handeln. Durch die Dunkelheit starrte er auf die Verbindungstür, die in das Schlafzimmer führte. Er mußte diesen Umweg nehmen. Auf diese Weise gelang es ihm vielleicht, den ändern zu überraschen. Er setzte den Gedanken sofort in die Tat um. Er schlich auf leisen Sohlen vorwärts. Er näherte sich der Verbindungstür. Unendlich langsam drückte er die Klinke nieder. Ängstlich vermied er jedes Geräusch. Etwa drei Minuten später stand er im Schlafzimmer. Auch hier war es finster wie in einem Kuhmagen. Vorsichtig, Schritt für Schritt, schlich der Kommissar auf die Tür zu, die in den Korridor führte. Er hielt seine Stablampe griffbereit in der Linken, die Pistole zum Schuß erhoben in der Rechten. Zögernd streckte er die Finger nach der Türklinke aus. Jetzt mußte sich erweisen, ob das Glück wenigstens einmal in diesem verdammten Fall auf seiner Seite stand.
Auch' diesmal brauchte er fast drei Minuten, bis er die Klinke niedergedrückt hatte. Die Tür öffnete sich. Zoll um Zoll schwang sie nach innen. Draußen auf dem Flur war es genauso dunkel wie im Zimmer. Kein Ton drang durch die Finsternis.
Morry lauschte eine Weile. Dann streckte er die Taschenlampe vor, hielt sie weit von seinem Körper abgespreizt und blendete sie auf. Ein greller Lichtkegel durchschnitt den Korridor. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte er die gegenüberliegende Wand in weißes Licht.
Dann aber war es auch schon aus mit der Herrlichkeit. Ein bellender Schuß zerriß die Stille. Eine peitschende Kugel schlug in die Lampe und zerfetzte die Blendkappe. Augenblicklich erlosch das Licht. Kommissar Morry spürte einen stechenden Schmerz in der linken Hand. Ein Glassplitter hatte sich tief in das Fleisch gebohrt. Hätte er die Lampe nicht weit von seinem Körper entfernt gehalten, so hätte er jetzt wahrscheinlich stumm auf der Türschwelle gelegen. So aber kostete die Kugel dem Staat nur eine neue Dienstlaterne. Ein zweiter Schuß donnerte auf; die Kugel streifte eine Wand und schlug als surrender Querschläger in die Tür ein. Das Echo des Schusses war kaum verhallt, da stürmten hastige Schritte auf die Flurtür zu. Polternde Füße hetzten die Treppe hinunter. Da und dort gingen Wohnungstüren. Erregte Stimmen wurden laut. Nervöse Männer traten auf die Treppenabsätze heraus. Aber den Mörder konnten sie nicht mehr aufhalten. Er war wieder einmal schneller gewesen. Er befand sich schon unten im Hausflur. Kommissar Morry kehrte in das Zimmer zurück und riß blitzschnell das Fenster auf. Er beugte sich weit hinaus. Noch in der gleichen Sekunde sah er unten einen Mann aus der Haustür stürzen. Er war elegant gekleidet. Er trug einen hellen Herbstmantel und einen schmalkrempigen Hut von grauer Farbe. Er war schlank und hochgewachsen. Mit raschen Schritten verschwand er zwischen den Sträuchern des Clapham Common. Seine Gestalt zerfloß in der Dunkelheit. Morry warf ärgerlich das Fenster zu.
„Verfluchtes Pech", knurrte er zwischen den Zähnen. „Um ein Haar hätte ich ihn in den Fingern gehabt. Jetzt wird es vielleicht wieder wochenlang dauern, bis ich ihn zu sehen bekomme."
Er ging langsam und entmutigt aus der Wohnung. Sorgfältig verschloß er die Tür. Als er die Treppe hinabschritt, blickten ihm die Hausbewohner erstaunt entgegen. Sie äugten ihn mißtrauisch an. Sie vertraten ihm den Weg.
„Wenn Sie eben etwas schneller gewesen wären, hätten Sie einen Mörder fangen können", murmelte Kommissar Morry. Sonst sagte er nichts.
16
Als Kommissar Morry am nächsten Vormittag im Yard erschien, blickte er wieder etwas Zuversichtlicher in die Welt. Er ließ Wachtmeister Potter zu sich rufen und berichtete ihm mit kurzen Worten die Erlebnisse der gestrigen Nacht.
„Wie schade, daß ich Sie nicht mitgenommen habe, Potter", schloß er seufzend seine Rede. „Zu zweit hätten wir den Schurken vielleicht überwältigen können. Allein jedoch konnte ich nicht viel ausrichten. Dieser Teufel ist ein ausgezeichneter Schütze."
Wachtmeister Potter wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Überrascht äugte er auf die Tür, die sich eben geöffnet hatte. Eine junge Dame trat über die Schwelle, elegant und kostbar herausgeputzt. Sie trug die rabenschwarzen Locken in die Stirn gekämmt und hatte ziemlich viel Farbe für ihr hübsches Gesicht verschwendet.
„Ich bin Olga Marat", sagte sie mit spröder Stirnme. „Ich habe eine wichtige Aussage zu
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