Kommissar Morry - Der Tod war schneller
auf. Clark Dixon war ja tot. Das bedeutete mit nüchternen Worten, daß er nicht mehr zu teilen brauchte. Achtzigtausend Pfund warteten auf ihn. Auf ihn ganz allein. Er brauchte nur noch sechs Adressen abzuklappern. Die Habgier hielt ihn wieder gepackt. Er mußte weg. Er wollte noch heute Nacht die Suche wieder fortsetzen.
„Vielleicht erzähle ich euch morgen die lange Geschichte", brummelte er seinen Freunden zu „Im Moment habe ich keine Zeit. So long, Boys! Es gibt in dieser Nacht noch viel für mich zu tun."
Er trottete aus der Kneipe und sog draußen prüfend die laue Sommerluft ein. Es regnete in dünnen Strähnen. Blütenduft und der Geruch frischer Erde mischten sich in den grauen Dunst. Jebb Mackolin zog seine Liste aus der Tasche und studierte die sechs Adressen, die ihm noch verblieben.
„Falsch", murmelte er. „Das wäre falsch. Ich muß mit sieben Adressen rechnen. In dem verdammten Milchladen haben wir ja nichts erfahren. Es ging alles zu schnell. Ich muß Clement Rochester noch einmal aufsuchen. Vielleicht weiß er etwas von dem grüngelben Schein."
Er trieb sich noch eine Weile im Osten herum, dann fuhr er mit dem Nachtbus nach Clapham hinüber und steuerte auf das Pavement zu.
Auch heute lagen fast alle Häuser wieder dunkel. Seltsam, dachte Jebb Mackolin, daß diese Leute noch so friedlich schlafen können1 nach allem, was hier ge= schehen ist. Sie haben anscheinend noch immer nicht begriffen, daß der Tod in ihrer nächsten Nähe wohnt. Es sollte mich verdammt wundern, wenn ich dem Sensenmann heute nacht nicht wieder begegne. Er stockte plötzlich. Scheu schielte er zu dem Milchgeschäft hinüber, das er zusammen mit Clark Dixon besucht hatte. Durfte er es riskieren, das Haus noch einmal zu betreten? War es nicht klüger, sich erst die anderen Adressen vorzunehmen, bis Gras über diesen letzten Einbruch gewachsen war. Minutenlang sinnierte Jebb Mackolin hin und her. Ständig behielt er das dunkle Haus im Auge. Begehrlich schielte er auf die beiden Schaufenster, an denen große Käseschachteln und Milchflaschen standen. Er pirschte sich langsam näher heran. Wie ein wildernder Hund strich er um das Gebäude herum. Es rührte sich nichts. Der Platz blieb still. Aus den Nachbarhäusern kam kein Ton. Mit einem Sperrhaken öffnete Jebb Mackolin die Haustür ohne jedes Geräusch. Er drang in den Flur ein und nahm sich die Wohnungstür vor. Hoffentlich klappt es, dachte er dn fiebernder Unruhe. Bisher ist noch immer etwas passiert. Es wäre heute das erste Mal, daß alles glatt geht. Mit einer beklemmenden Vorahnung stieß er die Wohnungstür auf. Schritt für Schritt tastete er sich durch den Korridor. Gleich die erste Tür links führte ins Schlafzimmer. Das wußte er noch von seinem letzten Besuch her. Er drückte die Klinke nieder und huschte lautlos über die Schwelle. Der dünne Lichtstrahl seiner Lampe geisterte durch das Zimmer. Er streifte zwei einfache Metallbetten und blieb auf zwei friedlichen Gesichtern haften. Es waren Clement Rochester und seine Frau, die ahnungslos in tiefem Schlaf lagen. Jebb Mackolin hielt sich an seine bewährten Erfahrungen. Er warf krachend die Tür ins Schloß. Da stellte er befriedigt fest, daß Mrs. Rochester kreischend aus den Kissen hochfuhr. Auch Clement Rochester richtete sich hastig auf und blinzelte erschreckt in das blendende Licht.
„Bei allen Heiligen", ächzte er fassungslos. „Kehrt denn hier nie mehr Ruhe ein? Wir hatten doch erst in dieser Woche zwei Einbrecher im Haus. Wer sind Sie? Was wollen Sie von uns?"
„Halten Sie keine langen Vorträge", knurrte Jebb Mackolin mit drohender Stimme. „Rücken Sie den grüngelben Zettel heraus, den Sie vor drei Wochen geklaut haben. Oder haben Sie vielleicht eine Ledertasche hier? Eine gelbe Schweinsledertasche mit recht nettem Inhalt?"
Clement Rochester wechselte einen verständnislosen Blick mit seiner Frau. Er wußte von nichts. Das sah man sofort. Er hatte keine Ahnung von einem Gepäckaufbewahrungsschein. Er wußte auch nichts von den geraubten achtzigtausend Pfund.
„Verflucht!" knirschte Jebb Mackolin zwischen den Zähnen. „Wieder nichts. Wie lange soll ich denn noch hinter diesem albernen Zettel herlaufen?"
Er machte hastig kehrt und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Kurz nachher verklangen seine Schritte draußen auf der Straße.
„Verstehst du das?" fragte Clement Rochester seine Frau. „Was wollen denn diese Leute von uns? Das alles ist mir unbegreiflich. Er hat nichts
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