Kommissar Morry - Der Tod war schneller
beiden Täter war Clark Dixon. Der andere ist uns noch unbekannt."
„Ja, so war es, Sir", sagte Mrs. Rochester tonlos. „Heute Nacht nun, als wir im tiefsten Schlaf lagen, erhielten wir wieder Besuch. Es war ein Fremder, der uns mit einer grellen Lampe blendete und nach einem grüngelben Zettel fragte . . ."
Kommissar Morry horchte auf. Sein Gesicht spannte sich. „Immer wieder dieser Zettel", stieß er rau hervor. „Wenn ich nur wüßte, was damit gemeint ist. Meine Leute haben es noch nicht herausgebracht. Sie haben bereits alle Theater, Cafes, Fundbüros und öffentlichen Garderoben abgeklappert. Leider ohne jeden Erfolg."
„Der Mann hat uns auch noch nach einer Tasche gefragt", warf Mrs. Rochester ein. „Nach einer gelben Schweinsledertasche mit anscheinend kostbarem Inhalt . . ."
Jetzt endlich zündete der Funke im Gehirn Kommissar Morrys. Also doch, dachte er aufatmend. Ich war von Anfang an auf der richtigen Spur. Es gibt in diesem dramatischen Spiel zwei Parteien, mit denen wir zu rechnen haben. Die eine sucht nach der verlorenen Tasche, die andere will den Tätern die Beute streitig machen. Bei dieser anderen Partei steht der Mörder. Er mordet aus Habgier. Er will achtzigtausend Pfund für sich allein haben.
„Ich lief zur Polizei, um den neuerlichen Einbruch in unsere Wohnung zu melden, Sir", fuhr Mrs. Rochester mit trockenem Schluchzen fort. „In dieser Zeit geschah es. In den fünf Minuten, die ich weg war, muß der Mörder die Wohnung betreten haben. Welch ein Unglück, Kommissar! Ich bin völlig verzweifelt. Vielleicht hätte ich Clement retten können, wenn ich daheim geblieben wäre."
„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Mrs. Rochester. Sie trifft bestimmt keine Schuld."
„In dieser Gegend kann man nicht mehr leben, Sir", murmelte Florence Rochester mit feuchten Augen. „Das ganze Unheil fing an, als vor ein paar Wochen Mary Dixon ermordet wurde. Seither geht ein Mörder in unseren Häusern ein und aus. Und bisher war der Tod immer schneller als die Polizei."
„Sie haben recht", sagte Morry niedergeschlagen. „Wir kennen bis jetzt weder den Mörder noch das Motiv seiner Taten. Nehmen wir einmal an, daß er ebenfalls hinter der kostbaren Tasche her ist. Das ist sogar wahrscheinlich. Aber dann hätte er doch noch immer keinen Anlaß zum Mord. Ein einziger Einbruch würde für seine Zwecke genügen."
Er brach ab. Er merkte, daß ihm Mrs. Rochester gar nicht zuhörte. Sie saß teilnahmslos am Tisch und blickte abwesend an ihm vorbei.
„Ich danke Ihnen einstweilen, Mrs. Rochester", sagte Morry leise. Er erhob sich, verließ die Küche und ging in das Schlafzimmer hinüber. Dort war die Mordkommission mitten in der Arbeit. Die Photographen räumten eben ihre Kästen weg. Die Spurensicherer hatten ergebnislos den Boden abgesucht. Der Polizeiarzt hielt kopfschüttelnd eine Patrone vom Kaliber 9 mm in der Hand.
„Wie lange soll das noch so weitergehen, Kommissar", murmelte er bedrückt. „Wie oft werden wir noch eine solche Patrone finden?"
Morry ging schweigsam an ihm vorüber. Er wandte sich an Wachtmeister Potter.
„Fahren Sie schnell in den Yard", raunte er ihm zu. „In meinem Schreibtisch liegen die Schlüssel zur Wohnung Clark Dixons. Ich brauche sie. Machen Sie schnell, Potter!"
Wachtmeister Potter tat sein Bestes. Er war schon nach zwanzig Minuten wieder zurück. Mit stolzem Grinsen überreichte er seinem Vorgesetzten den Schlüsselbund.
„Darf ich mitkommen, Sir?" fragte er eifrig.
Morry winkte ab. „Es wird nichts Aufregendes geben, Potter. Bleiben Sie lieber hier bei den ändern. Ich bin ohnehin bald wieder zurück."
Das Haus, in dem Clark Dixon jahrelang gewohnt hatte und in dem er vor ein paar Tagen ermordet worden war, lag unmittelbar in der Nachbarschaft. Kommissar Morry hatte keine zwanzig Schritte zu gehen. Er nahm die Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Haustür auf. Hinter einigen Wohnungstüren brannte Licht. Man hörte Stimmengemurmel. Sie haben Angst, dachte Morry rasch. Sie wissen genau, daß ihr Haus schon zweimal von einem Mörder heimgesucht wurde. Sie rechnen damit, daß er wieder kommt. Er kann jederzeit wieder hier auftauchen. Vielleicht heute. Vielleicht morgen . . .
Vor der Wohnungstür Clark Dixons machte Morry halt und sperrte das Schloß auf. Er trat in die stille Behausung ein. Die Wände glotzten ihm kalt und feindselig entgegen. Links war das Wohnzimmer, rechts der Schlafraum. In beiden Räumen hatte der Tod reiche Ernte gehalten.
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