Kommissar Pascha
um acht an der alten Messe, oder ihr lasst es bleiben. Servus. Ich gehe jetzt«, entschied er entnervt und verließ das Dienstbüro.
3
Da kein offizieller Ermittlungsauftrag vorlag, sah Zeki davon ab, den Dienstwagen auf der vielbefahrenen Ludwigsbrücke abzustellen. Er dirigierte Isabel in eine Seitenstraße, wo sie nach langer Suche endlich einen Parkplatz fanden. Beim Aussteigen merkte er, wie entkräftet er war. Er fragte sich, warum ihm das Einhalten des Fastenmonats so viel Mühe bereitete. Die Hitze war im Grunde erträglich; trotzdem spürte er, wie Energie und Konzentration nachließen. Seine Gedanken kreisten um die Frage,
warum
er die Tortur auf sich nahm. Dreißig Tage lang. Von der Morgendämmerung bis zum Einbruch der Nacht war es ihm als Moslem nicht erlaubt, zu essen und zu trinken. Nicht mal eine Breze, wie er sie liebte – mit viel Butter und vielen Salzkörnern. Auch Sex, Rauchen und sonstige überschwengliche Vergnügungen waren tabu. Ganz zu schweigen davon, während des Fastenmonats auf üble Nachreden, Verleumdungen und Beleidigungen zu verzichten. Auch Lügen war verboten. Zumindest tagsüber. Zeki überlegte, ob die Aufklärungsquote in muslimischen Ländern durch diese Auflage rapide anstieg. Wenn Verdächtige nicht lügen würden, was gab es dann noch aufzuklären? »Haben Sie die Tat begangen?« »Ja.« Fall gelöst. Aber so einfach ging es in der Welt nicht zu, auch nicht während des heiligen Fastenmonats. Dem Münchner mit türkischen Wurzeln war bewusst, dass die Enthaltsamkeit ähnlich wie bei den Christen dazu diente, den Geist für das Wesentliche im Leben zu schärfen. Die Nähe Gottes oder Allahs an Körper und Geist zu erfahren. Aber auch, dafür zu sorgen, dass sich die Muslime weltweit zusammengehörig fühlten – der Fastenmonat war eine der fünf Säulen des Islam.
Zekis Auffassung über seinen Glauben lag aber eine besondere Auslegung zugrunde. Für ihn bedeuteten die religiösen Maßgaben zunächst einmal nichts. Er trank Alkohol, sei es Bier, Rotwein oder Raki, aß jeden zweiten Sonntag Schweinebraten, und das vorgeschriebene fünfmalige Beten am Tag stand nicht auf seinem Programm. Hie und da ließ er sich beim Freitagsgebet blicken – wenn es Arbeit und Gemütsverfassung erlaubten. Trotz seines mannigfachen Fehlverhaltens war er überzeugt davon, in Allahs Augen ein guter Moslem zu sein – ein Menschenkind, das nicht anders konnte.
Als er und Isabel zu Fuß die Ludwigsbrücke erreichten, beugte sich Zeki über das Brückengeländer, um zum Isarufer sehen zu können. Einige Meter von den neugierigen Zaungästen und Kollegen der Spurensicherung entfernt entdeckte er Jale Cengiz. Sie hielt die Jeansjacke, die ihr sein Sohn Aydin geschenkt hatte, in der Hand und kniete mit gebeugtem Oberkörper auf der Wiese. Wenn ich mich nicht täusche, sagte er sich, übergibt sie sich gerade.
Demirbilek täuschte sich nicht. Jale hatte den schauerlichen Anblick der männlichen Wasserleiche nicht ertragen. Zum optischen Ekel kam der üble Geruch. Sie hatte eine kaum verständliche Entschuldigung gestöhnt, bevor sie vor den Augen der hämisch lachenden Kollegen losgerannt war. Auf halbem Weg zu ihrem Ziel, einer Böschung am Fahrradweg, musste sie anhalten und ihrem Körper sein Recht zugestehen.
»Vierkant, kümmere dich um Jale. Die ist doch sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen«, wunderte sich Zeki und machte sich auf den Weg zum Ufer. Während Isabel zu Jale eilte, erreichte Zeki den Fundort gerade noch rechtzeitig, um den Toten vor dem Abtransport in Augenschein nehmen zu können. Es gab keine augenfälligen Spuren von Gewalt. Er war etwa eins siebzig groß. Schwarze, lange Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Zeki schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er war tätowiert. Eine abstrakte Welle und ein Anker auf dem Unterarm. Zeki hatte seine Fähigkeit, zielgerichtet zu assoziieren, in seiner jahrelangen Ermittlungstätigkeit so weit kultiviert, dass er aus Physiognomie und Tätowierung die Herkunft des Mannes an der Schwarzmeerküste ansiedelte. Er konnte Türke sein. Musste aber nicht, ermahnte er sich.
Es gab, wie ihm berichtet wurde, keinen Hinweis auf die Identität des Toten. Kein Geldbeutel mit Ausweispapieren oder sonstigen Hinweisen. Raubmord war demnach nicht auszuschließen. Oder hatte der Mann seine Wertgegenstände abgelegt, bevor er in die Isar gesprungen war? Zeki schüttelte den Kopf. Nein, dann hätte er auch keine Hose an. Er zog die
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