Kommissar Pascha
gelassen. Er nahm jeden Hinweis ernst, studierte wie an diesem Morgen jeden Fall auf das genaueste, lehnte ab und leitete die Fälle an die zuständigen Kollegen weiter. Sehr zu deren Missmut, hofften sie doch auf Entlastung durch den Migrationsspezialisten. Demirbilek aber bestand auf die nötige Schwere des Verbrechens. Ihm war klar, dass bei der Ermittlungsarbeit Wissen und Kenntnis kultureller Denkweisen und Eigenheiten förderlich sein würden. Doch ob der überführte Täter einen deutschen Pass hatte oder nicht, war nicht von entscheidender Bedeutung. Wenn der politische Wille sich einen Luxus wie die Migra leisten wollte, dann wollte er den Luxus auch auskosten. Wenige Fälle, die aber lösen. Die Statistik musste stimmen, sein Sonderdezernat gute Polizeiarbeit leisten. Deshalb nahm er sich vor, es sich nicht zu heimisch im Büro zu machen.
Yavaş, yavaş
– immer schön langsam.
Der Kommissar sah auf seine Armbanduhr. Die Zeiger näherten sich halb elf. Es wurde Zeit, zu seinem Anwaltstermin aufzubrechen, dachte er. Schnell richtete er seine Krawatte und kontrollierte die drei Taschentücher. Eines rot-blau gestreift, das andere grün-gelb kariert und das dritte weiß mit Stickereien, ein Geschenk von seiner Tochter, glaubte er sich zu erinnern.
[home]
4
A bermals strich Isabel Vierkant sich durch die langen Haare. Sie war angespannt, was sich darin äußerte, dass sie mit geschlossenen Augen den unüberschaubaren Inhalt ihrer Umhängetasche durchging. Eine dumme Angewohnheit, die sie nicht ablegen konnte. Sie wartete seit fünfzehn Minuten auf dem einzigen Stuhl im Flur vor Demirbileks Büro. Sie war zu früh. Viel zu früh. Sie hatte es mit der Angst zu tun bekommen, als sich der Friseur an ihren braunen, gewellten Haaren zu schaffen machen wollte, und Reißaus genommen. Um die Zeit bis zu ihrem Bewerbungstermin zu überbrücken, streunte sie ziellos über den Marienplatz, blieb vor nahezu jedem Schaufenster stehen, um sich zu vergewissern, dass wirklich keine einzige Haarsträhne fehlte.
Sie durfte es nicht vermasseln, beschwor sie sich. Sie wollte unbedingt in sein Team, weil sie den türkischen Kommissar seit der ersten Begegnung vor einem Jahr bewunderte. Sie erinnerte sich an den Tag, als wäre es der heutige. Ein Raubmörder hatte Kasse und Schmuck aus einem Juweliergeschäft im Olympia-Einkaufszentrum gestohlen und den Sicherheitsmann erschossen. Die Einsatzleitung mutmaßte, dass sich der Täter noch vor Ort befand. Isabel hatte in der Nacht zuvor den Heiratsantrag ihres Verlobten Peter ausgiebig gefeiert. Sie war verliebt und nicht ganz auf der Höhe ihrer geistigen Möglichkeiten, als ein sympathisch lächelnder Mann sie fragte, ob er durch die Absperrung dürfe, die sie bewachte. Da sie abseits vom Tatort lag, hatte sie keine Bedenken, den Mann passieren zu lassen. Kommissar Zeki Demirbilek beobachtete das Ganze zufälligerweise und folgte ihm. Später am Abend sah sie zu ihrem Entsetzen, wie dieser Mann in Handschellen zum Verhörraum geführt wurde. Als sie sich bei Demirbilek im Büro entschuldigen wollte, meinte er, sie habe klug gehandelt, der Raubmörder hätte sie sonst niedergeschossen. Dann wünschte er ihr aus tiefstem Herzen eine glückliche Ehe und viele Kinder.
Seit dem Tag verfolgte sie seine Laufbahn und hatte von einer Freundin aus dem Personalbüro erfahren, dass zwei Stellen, von denen eine bereits vergeben war, ausgeschrieben waren. Man suche jedoch eine türkischstämmige Kollegin, und damit konnte Vierkant nicht aufwarten. Seit vierunddreißig Jahren Kind niederbayerischer Eltern. Spätberufene im Polizeidienst, gnadenlos ehrlich zu sich und anderen, ein wenig unsicher manchmal im Auftreten, was sie mit ihrem besonnenen Charakter mehr als wettmachte. So erfuhr sie, dass man auf den Gängen tuschelte, dass Demirbilek wohl eine andere Auffassung von Personalpolitik hatte. Er wollte jemanden im Team haben, der Abläufe und Zuständigkeiten im Polizeiapparat kannte. Er soll lautstark geäußert haben, dass es ihm verdammt scheißegal sei, ob Deutscher oder Türke oder Kroate oder sonst etwas. Es folgte einer seiner Ausbrüche, die regelmäßig mit Flüchen in türkischer Sprache endeten. Im Personalbüro machte man sich daran, unabhängig von ethnischen Kriterien eine qualifizierte Person zu finden. Und diese Person wollte Isabel Vierkant sein.
Gerade entdeckte sie einen Kugelschreiber auf dem Boden und steckte ihn in ihre riesige dunkelbraune Umhängetasche, wo sie
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