Kommissar Pascha
zu sein, und hielt ihre Weiblichkeit für etwas Göttliches. Sie liebte erotische Spiele und damit Männer wie Frauen gleichermaßen zu provozieren. Für Gül kam es einer sportlichen Herausforderung gleich, in die erogenen Gehirnzonen ihrer Mitmenschen vorzudringen. Die Kunst des Betörens und des Begehrtwerdens hatte sie sich von orientalischen Bauchtänzerinnen abgeschaut. Für Gül waren die hüftschwingenden Frauen Künstlerinnen. Sie verströmten unnahbare Weiblichkeit mit jeder Geste, mit jedem Wimpernschlag, mit jeder Zuckung des verhüllten Körpers. Sex passierte im Kopf und endete für Gül auch dort. Sie war Jungfrau. Aus Überzeugung.
Die Menge tobte und klatschte. Lasziv ließ Gül das schnurlose, wie ein Dildo geformte Mikrofon über die sich abzeichnenden Brustwarzen kreisen. Am Ende des Lieds spreizte sie die Beine und stieß das Mikrofon zwischen ihnen hindurch. Unter der neonweißen Perücke erstrahlte ihr zufriedenes, verschwitztes Gesicht; ihre Augen glänzten im Scheinwerferlicht. Kaum jemand merkte beim Schlussapplaus, wie sie für eine Sekunde erschrak. Sie hatte jemanden im Publikum entdeckt, der niemals hätte Einlass in den exklusiven Club finden dürfen. Sie verbeugte sich und verließ hastig die Bühne.
Der Mann, der Gül derart aus der Fassung gebracht hatte, hörte auf den Namen Stefan Tavuk. Er war Mitte dreißig, der Körper gezeichnet von zwanzig Stunden Fitnessprogramm in der Woche. Das hellbraune Haar färbte er mit einer Spezialtönung naturblond. Stefan Tavuk beobachtete, wie Gül an der Schlange wartender Frauen vorbeiging und in die Toilette verschwand. Er lehnte sich an die Wand in der Nähe und nippte an seinem Whisky-Cola. Dreiundzwanzig Euro. Eine stolze Summe, fand er, aber schon bald würde er mit den irrsinnigen Preisen kein Problem mehr haben. Dann sah er nervös auf die Uhr. Er fragte sich, wo Bülent abgeblieben war, ob er überhaupt noch kommen würde? Pünktlichkeit war nicht die Stärke seines Partners.
Endlich trat Gül aus der Toilette und huschte an den gaffenden Frauen vorbei. Sie hatte die grelle Bühnenschminke gegen weniger auffälliges Make-up getauscht. Ein weißer Büstenhalter bedeckte ihre Brüste, Ärmel und Hosenbeine des Ganzkörperanzuges waren hochgekrempelt. Die Lady-Gaga-Perücke hielt sie zusammengeknüllt in der Hand, als Stefan Tavuk sich ihr in den Weg stellte.
»Gül
hanım
«, sprach Tavuk sie auf Türkisch an.
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich mit einem Schlag. Mit hasserfüllten Augen spie sie dem Mann entgegen: »Sie haben bekommen, was Sie wollten. Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Ich muss aber wissen, wo Bülent Karaboncuk ist. Er wollte mit Ihnen unsere Angelegenheit besprechen. Er hat sich nicht gemeldet, und ich erreiche ihn nicht«, entgegnete er kleinlaut.
»Sie meinen Ihren Scheißpartner? Das Schwein kann mir gestohlen bleiben, er ist nicht zur Verabredung gekommen«, zischte Gül zurück und fuchtelte mit der Perücke vor seinem Gesicht herum. Dann ließ sie ihn einfach stehen und bahnte sich ihren Weg zur Bar. Das Quellwasser aus den Pyrenäen trank sie in einem Zug direkt aus der Flasche. Als sie sich umdrehte, stellte sie erleichtert fest, dass der Mann verschwunden war.
Spät nach Mitternacht kauerte Gül auf dem Beifahrersitz der Mercedes-Limousine, statt wie üblich hinten auf dem komfortablen, lederbezogenen Rücksitz Platz zu nehmen. Der alte Chauffeur war wieder einmal betrunken und nicht in der Lage, selbst den Wagen zu fahren. Sie war froh, dass er Ahmet geschickt hatte, um sie abzuholen. Sie mochte den Mann mit dem jugendlich wirkenden Gesicht und den unschuldigen Augen. Es war der unbekümmerte, scheue Blick, der sie in den Bann gezogen und seit der ersten Begegnung nicht mehr losgelassen hatte. Ob sie verliebt war in den schüchternen, in sich gekehrten Mann, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen. Erschöpft nahm sie Ahmets freie rechte Hand in die ihre. Die zärtliche Berührung half ihr, auf der Heimfahrt durch das nächtliche München einzuschlafen.
Ahmet stoppte den Wagen am Anwesen der Güzeloğlus, ohne seine Dienstherrin zu wecken. Leise holte er seine Mini-Polaroidkamera aus dem Handschuhfach und machte ein Foto von der schlafenden Frau, die zu lieben ihm verboten war.
[home]
3
A m nächsten Tag verhieß die Morgensonne einen herrlichen Sommertag. Es war Freitag. Seit acht Uhr morgens saß Kommissar Zeki Demirbilek hinter seinem Schreibtisch im dritten Stock, wo für das neugegründete
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