Kommissar Steen 01 - Unruhe
Tafel aus Metall, auf der die Verhaltensregeln für Friedhofbesucher zu lesen waren, auf Dänisch, Englisch, Arabisch und Türkisch – noch ein Beweis für die abgrundtiefe Unkenntnis der Stadtverwaltung über die Zusammensetzung der Bevölkerung im Viertel. Die Türken waren längst ins Umland gezogen. Die Mehrheit der jetzigen ausländischen Bewohner waren Kriegs- und Armutsflüchtlinge mit wenigen Habseligkeiten und vielen Traumata als Gepäck.
Daneben war noch eine Tafel aufgestellt worden, eine Karte mit den Gräbern bekannter Persönlichkeiten. H. C. Andersen, Søren Kierkegaard, Dan Turèll, Michael Strunge, Hans Scherfig und Jens August Schade. In der guten alten Zeit hatte es oft geheißen, Nørrebro sei das geistige Zentrum des Landes, allerdings musste man dafür die Toten mitzählen.
4
Ein Volvo Kombi bog um die Ecke und bremste knirschend ein paar Meter von Axel entfernt. Der Schwede und Mr Clean. Die Herren Gerichtsmedizin und Geradlinigkeit stiegen aus und kamen auf Axel zu, der trotz seiner fast eins neunzig wieder einmal erkennen musste, dass ihm nach wie vor fünf bis sechs Zentimeter bis zu Darlings imponierender Größe fehlten.
Der Vizekriminalkommissar trug wie immer zweifellos die engsten Hosen der ganzen dänischen Polizei. Man hätte glauben können, es könnten nur Eunuchengesänge aus seinem Mund kommen, so stramm saßen sie im Schritt, was Thema so manchen, meist nur im Flüsterton geführten Gesprächs war, besonders unter den Frauen des Polizeikorps, denn man konnte die Ausbeulung sehen, eine zusammengerollte, schlummernde Schlange, meist ein wenig nach links versetzt. Das Interesse an diesem Thema wurde auch dadurch nicht geschmälert, dass John Darling jederzeit als Model für Herrenbekleidung hätte anfangen können. Groß, muskulös, hellblond, freundliche blaue Augen, lächelnd und gleichzeitig überaus seriös. Er war ein fähiger Ermittler, korrekt und gründlich, aber die Hosen? Teufel auch, die mussten doch kneifen!
Axel spuckte sauren Kaffee vor den beiden Männern auf den Weg.
»Schön zu sehen, dass ihr euer Coming-out hinter euch habt und euch endlich auch in der Öffentlichkeit zeigt«, sagte er.
John Darlings Unterlippe kräuselte sich minimal, und ein mitleidiges Lächeln leuchtete in seinen Augen auf, ansonsten verzog er keine Miene. Der Schwede, der mit bürgerlichem Namen Lennart Jönsson hieß, lachte herzlich auf und antwortete:
»Philip Marlowe in höchst eigener Person, ist mir eine Ehre. Ich habe deinen Kollegen oben beim Haupteingang aufgesammelt. Wir wussten ja nicht, ob hier für zwei Wagen Platz sein würde. Anscheinend bist du ja wie immer bester Laune. Wollenwir die Kindergartenwitze weglassen und gleich zur Sache kommen? Oder musst du erst noch die Einschlafbierchen ausschwitzen, die du gestern abgepumpt hast?«
»Bin ich es oder seid ihr es, die kurz vor Mittag hier angetorkelt kommen, als hätten sie die ganze Nacht durchgemacht? Ich bin schon seit vier hier.«
»Ist ja gut, Axel, was hast du für mich?«
Axel setzte ihn kurz ins Bild.
»Verflucht, dieser Haubenbursche wird uns noch jede Menge Ärger machen. Gut, dass ich damit nicht vor die Presse muss«, sagte der Schwede.
Die Hände des Chefobduzenten hatten in den sterblichen Überresten so gut wie jedes Kopenhagener Mordopfers der letzten fünfzehn Jahre herumgewühlt. Er war eine Legende unter den Mordermittlern in ganz Europa. Aber auch zum Tsunami in Thailand, den Bombenanschlägen in Madrid, den ethnischen Säuberungen im Kosovo oder zuvor in Bosnien hatte er etwas zu sagen, und aufgrund seiner natürlichen und einnehmenden Art war Lennart Jönsson, immer einen passenden Aphorismus oder ein geflügeltes Wort auf den Lippen, ein häufig anzutreffender Gast und Kommentator in Talkshows und Die Polizei bittet um ihre Mithilfe -Formaten. Hochgewachsen und mit einem ansehnlichen Spitzbauch ausgestattet, ein schelmisches Lächeln in den von Tränensäcken und Lachfalten umgebenen Augen unter dem grauen Haaransatz, stets Kautabak kauend, war er Axels bester Freund.
Sie gingen zum Tatort, wo BB und sein Kollege noch ihre Arbeit taten.
»Eine Leiche an einem solchen Ort, ganz schön makaber«, sagte Darling mit Frösteln in der Stimme.
»Hier gibt es doch wohl reichlich Tote.«
»Auf Friedhöfen kriege ich eben einfach immer ’ne Gänsehaut.«
Da es Axels Fall war, nahm er gemeinsam mit dem Schweden die vorläufige Leichenschau vor. Darling würde sich um dieVernehmung der Zeugen
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