Kommissar Steen 01 - Unruhe
in den Fällen Enver Davidi und Piver waren abgeschlossen. Die Akten waren zugeklappt, die Morde aufgeklärt. Nur nicht für Axel, etwas fehlte noch. Er hatte den abschließenden Bericht gelesen. Die DNA -Spuren vom Friedhof, in Sonnes Wagen und an Pivers Leiche ergaben eine Beweiskette gegen den toten Journalisten, die vor jedem Gericht standhalten würde.
Aus dem Bericht ging weiter hervor, dass die Polizei darüber hinaus im Besitz einer Aufnahme war, die zeigte, dass Sonne Enver Davidi ermordet hatte. Sie zeigte nicht den Mord, aber einen Mann in Polizeiuniform, der Davidi in Richtung Friedhofsmauer zog, dahinter verschwand und neunzig Sekunden später wieder auftauchte. Als er die Schirmmütze abnahm, wie es indem Rapport hieß, war das Gesicht kurz zu sehen: Es war eindeutig der Verdächtige. Die Aufnahme stammte aus einer Videokamera, die in Sonnes Wagen gelegen hatte, sie startete am Donnerstag, dem 1. März um 21.00 Uhr und lief bis zum nächsten Morgen, an dem sie vermutlich von dem zweiten Mordopfer entfernt worden war.
Axel verfügte über den gleichen Film, nur mit dem Unterschied, dass seine Aufnahme bereits am Morgen des 1. März begann und die eindeutige Dokumentation eines gewaltsamen polizeilichen Übergriffs übelster Art enthielt.
Vor ein paar Wochen hatte sich Lindberg in einem großen Interview in der Politiken zu Wort gemeldet, die Geschichte über den Mord an Stanca Gutu offengelegt und von seinen eigenen Erlebnissen in Makedonien berichtet. Es war ein schonungslos ehrliches Interview, in dem er nicht verschwieg, dass ihn noch immer sein Gewissen plage, sich überhaupt in ein Bordell mit jungen Frauen begeben zu haben, die als Sexsklavinnen verkauft worden waren.
Axel ging durch das Tor auf der Nørrebrogade und lief hinauf in die erste Etage. Die rot gestrichene Tür mit den drei gelb gepunkteten Christianiasternen stand offen, im Redaktionsbüro war niemand zu sehen. Das passte ihm ausgezeichnet, er hatte vor, den USB -Stick einfach auf Lindbergs Schreibtisch zu legen, aber als er dessen Büro betrat, lag der Journalist auf einem Ledersofa hinter der Tür und las einen Manuskriptstapel. Lindberg blickte ihn über den Rand seines schwarzen Brillengestells hinweg überrascht an, eine Zigarette hinters Ohr geklemmt, Maoschuhe an den Füßen, Ohrring, Bartstoppeln, eine zerschlissene Jeans und ein verwaschenes T-Shirt. Immerhin hatte er einen eigenen Stil.
Lindberg legte den Papierstapel auf dem Boden ab und stand auf.
»Axel Steen. Ich dachte, wir wären fertig miteinander, aber das werden wir wohl nie sein, oder?«
Axel sah ihn an. Das alte Misstrauen war noch immer da, aber etwas Wichtigeres drängte es in den Hintergrund.
»Ich habe etwas für dich«, sagte Axel.
Er zog den USB -Stick aus der Tasche und gab ihn Lindberg.
»Was ist das?«
»Das wirst du schon sehen.«
»Ist das die verschwundene Aufnahme?«
Der Journalist sah Axel überrascht an. Überrascht, dann skeptisch. Und dann leuchtete ein Feuer in ihm auf.
»Aber warum?«
»Das spielt keine Rolle. Ich bin sicher, du weißt, was zu tun ist.«
Axel verließ das Büro und hörte, wie hinter ihm ein Computer hochgefahren wurde.
Axel fuhr in den Dossering und rollte auf dem Fahrradweg am See entlang. An einer grünen Bank stieg er ab und setzte sich. Jetzt stand ihm das Schlimmste bevor. Er sah hinüber zu den Häusern auf der anderen Seite des Sees. Der Søtorvet mit seinen Ecktürmen, Zinnen, Kuppeln, Zinkdächern und Balkonen lag da wie ein Abziehbild von Paris. Das Tor zum alten Kopenhagen, aber auch eine herrschaftliche Grenze, die deutlich markierte, dass Nørrebro mit seiner chaotisch hingewürfelten Ansammlung von Gebäuden und seinem unbezähmbaren Leben hier zu Ende war. Er mochte den Gedanken, dass sich nicht viel verändert hatte, seit Meldahl vor hundertdreißig Jahren das Søtorvspalais entworfen hatte. Dort standen nach römischem Vorbild zwei imposante Skulpturen der Götter Tiber und Nil, die sich in giftgrüner Bronze räkelten, während Nørrebro von einer Würstchenbude und der Granitskulptur zweier Menschen, die in ein ernstes Gespräch vertieft waren, repräsentiert wurde.
Er zog den Abschlussbericht hervor.
Das Ganze war eine merkwürdige Mischung aus Glück und Kalkulation auf Sonnes Seite und Missverständnissen, Dummheiten und Zufällen auf ihrer Seite, die es dem Journalisten ermöglicht hatten, durch das engmaschige Netz zu schlüpfen, das eine Mordermittlung darstellte.
Während
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