Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
zurückkommen?«
»Ich weiß nicht, er war …«
»Ja?«
»Na, er war nicht ganz normal, glaube ich. Er hat so schnell gesprochen. Fast als sei er irre.«
»Wie geht’s dir, Jana? Alles in Ordnung?«
Das Mädchen nickte. »Aber ich will nach Hause.«
Meißner bestellte einen der Streifenwagen zum Auto. »Die Kollegen werden Sie nach Hause fahren.«
»Nehmen Sie Papi jetzt mit?«, fragte Jana.
»Das werden wir wohl tun müssen.«
»Er ist böse. Ich will nie wieder zu ihm.«
Ihre Mutter nahm Jana in den Arm und sah Meißner erschrocken an, als habe ihre Tochter etwas Ungehöriges gesagt, wofür sie sich schämen müsste.
Auf dem Weg zum Einsatzfahrzeug wandte Meißner sich noch einmal an sie. »Hat er irgendetwas über Roxanne Stein gesagt? Hat er Ihnen erzählt, was passiert ist?«
Wieder sah sie ihn nur erschrocken an und schüttelte energisch den Kopf.
»Er hat sie überhaupt nicht erwähnt?«
Wieder Kopfschütteln. Deckte sie ihn? Aber warum? Warum sollte sie das tun?
»Frau Haschova«, flüsterte er ihr zu, damit ihre Tochter möglichst nichts davon mitbekam. »Er hat vielleicht einen Mord begangen. Haben Sie ihn nicht gefragt, ob er damit etwas zu tun hat?«
»Ich möchte jetzt nach Hause.«
Er sah, dass Jana bereits Tränen in den Augen standen und gab sich geschlagen. Die Einsatzbeamten sollten die beiden nach Hause fahren.
Als der Wagen auf die Brücke rollte, sah er ihnen kurz hinterher und murmelte »Keine Ursache«. Dann drehte er sich um und ging hinüber zu den Scheinwerfern und Blinklichtern der Einsatzfahrzeuge und des Krankenwagens.
Marieluise kam als Erste zu ihm. Er hatte schon Angst, sie würde ihm um den Hals fallen, aber sie strich ihm nur zärtlich über den Arm.
»Alles in Ordnung bei dir?«
Er winkte ab. »Mir fehlt nichts. Wo ist denn der Kollege von der Münchner Kripo?«
»Schon wieder weg. Er musste zu einem Einsatz. In einer Großstadt wie München ist eben mehr los als bei uns.«
»Und unser Patient?«
»Sie haben ihn kurz untersucht. Ihm fehlt nichts, er ist nur etwas nass geworden. Und ziemlich durch den Wind. Ich bin gespannt, ob wir aus dem noch etwas rauskriegen.«
Grote saß in eine Decke gehüllt auf dem Rücksitz des Einsatzwagens und starrte auf die Rückenlehne des Fahrersitzes.
Meißner setzte sich auf die Beifahrerseite. Auf die Belehrung zu seiner Festnahme und die Mitteilung, dass er nun nach Ingolstadt gebracht werde, reagierte Grote nicht. Meißner lotste Marieluise durch die Stadt, vorbei am alten Sechziger-Stadion, über Giesing und den Ostbahnhof. Grote drehte noch einmal den Kopf zum Fenster und sah hinaus. Mittlerweile war es dunkel geworden. Hier war er heute seit den frühen Morgenstunden unterwegs gewesen und hatte Helena und seine Tochter Jana wiedergesehen. Aber dieser Tag war nun vorbei.
Meißner beobachtete Grote, wie er zum Fenster hinaussah. War das nun Roxannes Mörder? Derjenige, der ihr die Krawatte so fest um den Hals gezogen hatte, dass die Knochen an ihrem Hals zerborsten waren? Der zugedrückt hatte, bis sie erstickt war? War er derjenige, der aus dem harmlosen Spiel von Maskerade und Verkleidung Ernst gemacht hatte?
Grote schien in einer anderen Welt zu sein. Vielleicht in einer, in der seine Freundin noch bei ihm wohnte und seine Tochter Höhlen im Kinderzimmer baute. Und in der Roxanne noch lebte. In einer Zeit, in der in der Beckerstraße noch kein Mord geschehen war. Als dort die Menschen friedlich miteinander in einem Haus lebten und jeder auf seine Weise versuchte, sein Leben zu meistern, so gut es eben gelang. Damit war es jetzt vorbei. Das musste auch Grote in seinem tranceähnlichen Zustand begreifen.
Aber wofür hatte Roxanne Stein mit ihrem Leben bezahlt? Wofür? Vielleicht für ein anderes, verpfuschtes Leben?
Meißner fühlte sich zu müde und zu erschöpft für weitere Überlegungen. Er wollte nur noch schlafen und etwas träumen, was er nie erlebt, am besten auch nie zuvor gesehen hatte.
Er dachte kurz an Carola, die sich auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereitete. Sie würde für lange Zeit nicht mehr allein sein, für sehr lange Zeit.
Im Präsidium wurde Grote in eine der Zellen im Untergeschoss gebracht.
Es war Mittwochabend, acht Tage nach dem Mord an Roxanne Stein. Hatten sie nun endlich ihren Täter gefunden? Meißners Instinkt gab aufgrund seines allgemeinen Erschöpfungszustands keine klaren Zeichen mehr. Übermorgen sollte die Beerdigung sein. Konnten sie bis dahin den Fall aufklären und
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