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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorit Kowitz
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„Ich glaube, es gibt nichts.“ Pause. „Oder? Nee, warte mal! Ich weiß was. Aber das wäre, wenn überhaupt, in Hamburg.“ Ich sagte: „Macht nichts, damit habe ich gerechnet.“ Er versicherte mir, sich sofort zu kümmern.
    Weil man in meiner Branche oft nicht hält, was man verspricht, wartete ich skeptisch ab, ob er wirklich seine Chefs fragen würde. Er tat es, sogar schnell. Zwei Tage später rief er zurück. „Es gibt vermutlich einen Job, und sogar einen, der genau zu dir passt. Hör zu ...“
    Pah! Ha! Na also! Ich hatte dem Drachen den Kopf abgeschlagen! Mein Schwert blinkte bluttriefend in der Sonne. Soin etwa muss ich jedenfalls ausgesehen haben, als ich Paul davon erzählt habe, randvoll mit Adrenalin und kampfeslustig.
    Noch mal Hamburg? Wieder 400 Kilometer? Jede Normalität vertagt auf unbestimmte Zeit? Es gab keine Diskussion. Paul sagte nur: „Na klar gehst du. Guck dich mal an!“ Er grinste: „War ja nicht mehr auszuhalten, dein Gejammer.“
    Drei Wochen später stellte ich mich in Hamburg vor, an einem Freitag, den 13. Aber mir konnte nichts mehr passieren, denn ich hatte schon am Tag zuvor, einem Donnerstag, den 12., meinen neuen gebrauchten Ford in Berlin zu Schrott gefahren und drei andere Autos gleich mit. Ich hatte so viel gezittert vom Schock nach dem Crash, dass ich jetzt die Ruhe selbst war.
    Meine Mutter chauffierte mich sicherheitshalber nach Hamburg. Wir parkten an den Landungsbrücken. Ich verschwand im Verlag, und sie lief die Stadt ab, bei minus fünf Grad. Sie fror, war aber zu nervös, um in ein Café zu gehen. Leider dauerte es drei Stunden, bis ich sie erlösen konnte. Sie und mich und Paul und unsere ganze verspannte Lage damals. Denn: Sie wollten mich. Sie hatten mich darum gleich zur Chefredaktion geschleppt. Es war nicht zu fassen! Mitten in der Medienkrise!
    Mein Zeitungsfreund Mark sagte, hell auflachend: „Ist ja geil, die werden sich schwarz ärgern in München, wenn sie das hören!“ Der Gedanke war billig, aber er gefiel mir.
    Natürlich hatte Mark das überbewertet. Und ich sowieso. Ich musste erst noch ein bisschen erwachsener werden, um zu begreifen, dass die Zugehörigkeit zu einem großen Apparat an sich keinen Vorteil bringt, wenn der Preis dafür peu à peu so hoch steigt, bis er eines Tages in keinem Verhältnis mehr zu seinem Gegenwert steht.
    Aber dieser Tag war nicht jetzt. Jetzt war alles gut. Jetzt packte ich meine Koffer; ein Umzugsunternehmen packtemeine Möbel in Berlin ein und in Hamburg wieder aus; man schraubte mir die Lampen an und hängte die Vorhänge auf, und ich musste das nicht bezahlen. Mich erwartete eine tolle Redaktion. Ich würde nicht mehr Nachrichten und Kurzkommentare im Akkord hacken und die großen Geschichten nach Feierabend schreiben müssen, sondern könnte mich in komplexe, brisante Themen knien. Es war sogar ausdrücklich erwünscht.
    Zuhause köpften wir wieder eine Witwe. Und lachten übers Leben. Wir badeten im Drachenblut. Unverwundbar.
    Meine Wohnung in Berlin, die Paul und mir über fünf Jahre lang Heimat und Liebesnest war, gab ich leichthin auf, ohne Wehmut zu empfinden. Das irritierte mich. Wir hatten hier auf dem Balkon gesessen, mit den Kirschen und den Socken an den Ohren, und einander die Zukunft versprochen. Unser junger Hund wäre auf der achtspurigen Straße hinter meinem Block beinahe ums Leben gekommen, als er sich allein auf den Weg in den Plänterwald machen wollte. Und die dröhnend laute Party zu meinem 29. Geburtstag wurde, gelinde gesagt, polizeilich registriert. Wir hatten in meiner selbst zusammengezimmerten Küche jenes erste Weihnachten verbracht, das wir nur zu zweit feierten. Es hatte Hummer gegeben, der ohne das richtige Besteck schwierig zu essen war, und es hatte draußen so viel geschneit, wie es das sonst an Heiligabend nur in Märchenfilmen tat. Wir hatten hier ein paar Tage nach meiner Kündigung als Erstes einen größeren Fernseher gekauft, im Vollbesitz unserer zynischen Kräfte. Zum sozialen Abstieg in die Unterschicht, befand Paul, „gehört nämlich eine größere Mattscheibe. Du hast ja jetzt viel Zeit.“
    Und nun war mir die Bude egal?
    Dass ich nicht sentimental sein konnte, war Prägung und Berufskrankheit, schon klar. Aber diese gewisse Taubheit, diesich gegenüber den Dingen und Städten eingestellt hatte, wuchs. Es war mir gleichgültig, dass ich eine neue Wohnung brauchte. Es war mir gleichgültig, das ich die alte aufgeben musste. Es war mir gleichgültig, als

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