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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorit Kowitz
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Band Lebensmodelle: Frei arbeiten? Wenn ja, für wen? Und von wo aus? Leipzig? Nein! Das wäre Kapitulation. Berlin? Warum noch Berlin? Mitten in der Medienkrise? Sich bewerben? Aber wo? Alle sparen! Wie sollen wir das Haus bezahlen? Irgendetwas muss ich machen! Aber ist für Irgendetwas das Leben nicht zu schade?
    Überall entließen Zeitungen Redakteure, die Nachrichtenagenturen schrumpften, Fernsehsender und Buchverlage fusionierten oder zogen um, um dadurch Personal loszuwerden. Werbetexter standen auf der Straße, gute Fotografen überlegten, wovon sie die Miete bezahlen sollten. Meiner Freundin Nadja, die eben noch Zeitschriften entwickelt hatte und zuvor Kulturchefin einer Online-Redaktion gewesen war, fehlte manchmal die Kohle, um Windeln für ihren Sohn zu kaufen. Es war nicht verlockend.
    Ich saß auf dem Arbeitsamt Berlin Süd-Ost, das damals noch so heißen durfte, wie es sich anfühlte, wie ein verdammtes deutsches undurchdringliches Amt, das Arbeit nur schaffte für seine eigenen Angestellten, von denen es zu viele gab, die unglaublich langsam und lustlos über die Flure schlurften. In meinem Fall sahen sie auch noch ungepflegt aus und sprachen undeutlich, ich schwöre!
    Mir verschaffte das Amt natürlich keine Arbeit (ich hatte nicht eine Sekunde damit gerechnet), aber es fraß mir Zeit, Energie und den letzten Glauben an eine gewisse Leistungsfähigkeit staatlicher Behörden weg wie ein Monster. Und dabeiwar ich dort nur an drei Tagen meines Lebens. Ich lernte, gequält von der Ungeheuerlichkeit, dass ich von meinem Arbeitslosengeld Kirchensteuer zu zahlen hatte, obwohl ich mein ganzes Leben keiner Kirche angehört hatte. Wem dabei nicht das Wort Mafia in den Sinn kommen musste, der war hirntot. Ich hätte zu gerne darüber geschrieben, aber das ging ja gerade nicht!
    Es soll heute in den „Arbeitsagenturen“ im Umgang mit den „Kunden“ besser geworden sein. Kann sein. Aber damals, das war Kafka.
    Ich überlegte, was für die Freiberuflichkeit spräche. Die Nachteile waren mir geläufig. Der miserable und unregelmäßige Verdienst und die Hochnäsigkeit, gleichzeitige Feigheit und Unzuverlässigkeit mancher fest angestellter Redakteure, mit denen man es nachher zu tun hätte – die Schauergeschichten von Nadja, Marina und Judy darüber hätten Bände füllen können.
    Dafür, frei zu arbeiten, hätte das Ungebundensein gesprochen, die relative Freiheit und Selbstbestimmung, die Möglichkeit für Medien zu arbeiten, die mich interessierten und das in Sujets, die in der Zeitung stiefmütterlich behandelt worden waren. Und dafür hätte vor allem gesprochen, dass Paul und ich eine Familie hätten gründen können, wenn wir wollten und wann wir wollten, ohne Taktiererei und ohne Sorge, dadurch meinen Job zu riskieren, denn der war sowieso weg. Wir hätten uns sehen können, wann wir wollten, einfach so und, völlig verrückt, sogar zusammenziehen! Imagine !
    Allein – die Suggestion von der großen Chance zur großen Unabhängigkeit funktionierte einfach nicht. Noch nicht, nicht damals. Alle paar Tage holte mich der Katzenjammer ein, ich empfand die Ungerechtigkeit als zu groß. Ich hatte das Gefühl, ich würde den falschen Leuten zur falschen Zeit Platz machen. Es war, als habe man eine Hundertmetersprinterinauf dem Weg zu Gold kurz vor der Ziellinie zum Stolpern gebracht, mit einem unsichtbaren Fallstrick. Ich sollte aus der Wertung fallen, aber das wollte ich nicht. Natürlich nicht. Es war unlogisch. Ich hatte noch die ganze Energie in mir, den ganzen Stolz, das ganze Training. Ich war konditioniert, auf den Job, auf Erfolg, auf die Branche und ihre Reflexe. Da kommt man nicht einfach herunter und macht: Ommmmm!
    Als ich wieder einmal zu Tode betrübt war, fasste ich mir darum ein Herz und rief einen Mann in Hamburg an. Heute ist er ein Freund geworden, damals kannte ich ihn nur von einem längst vergessenen Praktikum in den Neunzigern. Der Kollege arbeitete als Reporter bei einem Magazin, er war dort über die Jahre eine Art Star geworden. Ein paar Monate zuvor hatte er mich angerufen, um mir zu einer gelungenen Reportage zu gratulieren, einfach so, obwohl wir uns Jahre nicht gesprochen hatten. So generös sind nicht viele in meinem Metier. Er hatte gefragt: „Willst du nicht zu uns kommen?“ Ich hatte geschmeichelt abgewehrt. Ich fühlte mich fest im Sattel.
    Jetzt kam ich angekrochen, ohne große Hoffnung. Ich wählte seine Nummer. Er ging sofort an den Apparat. Er hörte zu und sagte:

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