"Kommst du Freitag"
dich über penetrante Schaffner und hast keinen Schimmer, wie du unter diesen Umständen je eine Familie haben sollst?
Ja, ja, du hast es nicht anders gewollt! Aber so hast du es nie gewollt. So nicht. Jetzt reicht es!
Ich kannte mich einigermaßen gut. Ich wusste, zuallererst musste ich mich mal beruhigen. Von einem um sich schlagenden Gedankenungetüm zu einer wohlüberlegten klugen Strategie braucht es Nerven, Zeit, Pauls Rat und Mut, um sie geschickt umzusetzen.
Uns war lange nicht klar, wie wir der Fernbeziehung ein Ende setzen könnten. Ein solcher Beschluss ist schwierig, wenn es dafür keinen Grund gibt, keinen offensichtlichen, meine ich, wie einen sich rundenden Babybauch oder einen großartigen Job für beide in derselben Stadt. Wir wussten nicht richtig, wie man es anstellen könnte, zueinander zu kommen. Paul konnte nicht weg aus Leipzig, das war über die Jahre hinweg klar geworden. Ich konnte in Leipzig nicht das finden, was ich suchte. Und vor allem, wir wussten nicht einmal, ob wir das überhaupt wollten: zusammenziehen. Und böte ein Baby überhaupt ausreichend Grund dafür? Sollte ich darum meine Ansprüche ändern? Er seine?
Ich wusste dafür jetzt sehr genau, was ich nicht mehr wollte: in der falschen Stadt (Hamburg) sein, auf die richtige Stadt (Berlin) verzichten und vier Stunden lang fahren müssen, um meinen Freund zu sehen. Andere machen ein Coaching, um so etwas herauszufinden. Bei mir reichte der zerstochene Reifen. Zumindest so gesehen war es am Ende ein preiswerter Abend am Ostbahnhof. Der Vandalismus führtegeradewegs zur Frage nach dem Sinn – nach dem Sinn, so zu leben: er immer da und du immer hier. Warum? Wie lange noch? Wozu?
Ich besuchte Milla in München, es war noch vor ihrer Schwangerschaft. Sie mixte uns zu starken Sekt-Aperol auf Eis. Und wir berieten, zügig betrunken, wie wir unseren Leben eine Wendung geben könnten. Milla wusste nicht weiter. So kühn, klug und erfolgreich sie mit ihren Filmen war und so überlegen in der intellektuellen Debatte – wenn es ums Private ging, scheute sie sich, die Initiative zu ergreifen. Ihre Produktionsfirma hatte längst eine Dependance in Berlin eröffnet. Als man die Leitung einem Mann anbot, der jünger war als sie und unerfahrener, schmollte sie. „Mir fehlt offenbar ein gewisses Teil zwischen den Beinen“, sagte sie, nicht nur zu mir, sondern auch zu ihrem „CEO“. Der lachte, denn er war ein cooler Hund, und entgegnete: „Nein, liebste Milla, ich bin froh, dass du eine Frau bist, und ich brauche dich hier in der Zentrale, weil du viel kreativer und stärker bist als Jan. Du wirst im Übrigen auch mehr verdienen als er.“
Das hatte die ansonsten schlagfertige und schlaue Milla derart verblüfft, dass sie das Denken kurz einstellte und ihr erst zu Hause auffiel, dass sie a) nur deshalb mehr Geld bekam, weil sie den Mund aufgemacht hatte (was okay ist) und sie b) leider wieder auf absehbare Zeit nicht in Carstens Nähe käme.
Dass Carsten sich weigerte, über einen Umzug nach München überhaupt nur nachzudenken, hatte ich schon erwähnt? Ja, nicht wahr? Bloß hätte er, anders als Paul die Kneipen, sein PR-Büro leicht verlegen können; viele seiner Kunden saßen sowieso im süddeutschen Raum. Er bestritt das auch gar nicht. Er wollte einfach nicht. Ich hätte ihm für seine Sturheit die Pest an den Hals wünschen können. Leider mochte ich Carsten inzwischen ganz gern. Denn er redete mittlerweile,wenn wir alle zusammen ausgingen. Er hatte sich dabei als prächtiger Ironiker entpuppt und als verdammt klug.
Milla sagte: „Ich überlege, mich von ihm zu trennen, wenigstens eine Zeitlang.“ Sie drehte das todtraurige Gekrächze von Tom Waits leiser, zu dem sie vorhin wie eine fußlahme Ausdruckstänzerin durch ihr Schwabinger Wohnzimmer tanz-geschwankt war.
Ich sagte nichts.
„Sag was. Halte mich davon ab.“ Ich mixte uns nervös noch zwei Gläser und rief, in die Enge getrieben: „Milla! Ich habe oft die Klappe gehalten, aber dir wird nicht entgangen sein, dass ich nicht damit leben könnte, wenn sich mein Typ allen großen Lebensfragen verweigert. Und dann noch durch Schweigen!“ Milla heulte nicht, das war nicht ihre Art. Sie wurde nur blasser. Sie sagte: „Du brauchst ja nicht gleich zu schreien.“ Zu dünn war sie sowieso seit Monaten. „Aber wie macht ihr denn das? Was ist, wenn sie dich nicht aus Hamburg weglassen?“, fragte Milla.
„Dann müssen wir neu überlegen und reden“, antwortete ich,
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