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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorit Kowitz
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Meinungsseite. Die überflüssige Korrespondentin erklärte ein paar hunderttausend Lesern die kleine Welt von Brandenburg. So, als wäre nichts. Paul taufte den Weg durchs Gras unseres Gartens „Dr. Manfred-Stolpe-Gedenk-Weg“. Heute ist er zugewuchert wie eine Narbe.
    Die Kündigung im Jahr sieben unserer Liebe auf Achse blieb nicht nur Anekdote, sie war eine Zäsur, in mancher Hinsicht. Eine Melange aus Wut, Überarbeitung, Erfolg, neuen Schmeicheleien, altem Lob, bitterem Ernst, aus Spaß, Frust, großer Sorge und zaghafter Zuversicht stritt und wogte und tobte in mir. Ich rief mir wechselweise zu: Ich bin doch schon dreißig! Ich bin doch erst dreißig! – Ich weiß nicht weiter! Alles wird besser! – Wir machen ein Kind! Nein, das wäre die Falle! Lieber werde ich es denen zeigen!
    Noch ein paar Monate zuvor hatte ich Abwerbungsversuchen anderer Verlage widerstanden und zu meiner Zeitung gehalten, mich sozusagen neu für sie entschieden. Und jetzt sollte ich in ein paar Monaten auf der Straße sitzen? Da stimmte doch etwas nicht!
    Es stimmte wirklich vieles nicht. Aber das änderte einfach nichts an den Tatsachen: Ene, mene muh, und raus bist du!
    Ein Bruch im Berufsleben, der gegen den eigenen Willen geschieht, stellt in einer Fernliebe viel mehr infrage als nur die Karriere. Es geht um das ganze Modell. Ich war ja nicht, wie eine chinesische Wanderarbeiterin, nur darum in die Ferne gezogen, um irgendwie zu überleben mit irgendeiner Arbeit, Hauptsache, sie brächte etwas Geld, Nahrung und eine trockene Schlafkoje. Ich war fortgegangen, weil ich anderswo Fähigkeiten und Kontakte gewinnen wollte, die mir zu Hause keiner bieten konnte. Ich war fortgeblieben, weil ich mich nicht irgendwo beweisen wollte, sondern genau da, wo ich jetzt war. Ich hatte mir mit 22 eingebildet, eine Korrespondentin bei genau dieser Zeitung werden zu müssen. Mit 26 wurde ich es und nun, mit dreißig, war ich: am Arsch.
    Das klingt hässlich, aber genauso hässlich fühlte es sich in den finsteren Minuten an. Eine meiner Kolleginnen war während ihrer Kündigung in den USA. Der Zeitungsverlag scheute keine Kosten und Anstrengungen, ihr den BlauenBrief, der nicht blau war, rechtzeitig dorthin zuzustellen. Als sie in den Staaten beklommen erzählte, sie sei soeben gefeuert worden, fragte man sie, wie alt sie sei. 32, sagte sie. Die Amerikaner lachten. „Was, schon? Und erst die erste Kündigung? My Dear, dann wurde es aber auch mal Zeit!“
    Diese Leichtigkeit des Seins ging mir leider ab. Ich hätte etwas darum gegeben, ein wenig amerikanisch an die Sache herangehen zu können. Stattdessen stellte ich alles infrage. Wozu zwei Wohnungen? Wozu die ganzen Reisen? Wozu die Fahrerei, die Geduldsspiele im Zug, der lebensbedrohliche Stress auf der Autobahn? Wofür all das Geld, das dafür draufgeht? Wofür die Ausbildung, die Quälereien um den besten Text? Wozu die vielen abgesagten Urlaube, die unzähligen Überstunden? Wofür das Lob, wenn es nachher nichts wert ist? Wozu noch überlegen, ob man je eine Familie haben darf und kann in diesem Job, auf diesem Niveau?
    Die Internetblase war geplatzt, der Boom perdu, die Krise massiv. Die Fragen nach dem Sinn des Pendelns häuften sich im Freundeskreis: Wozu eine Fernbeziehung führen, wenn plötzlich deine ganze Managementebene abgeschafft wird oder das spannende Projekt in der größeren Agentur landet oder dein Forschungsteam keine Drittmittel ergattert für die Expedition, wenn die Juniorprofessur an dir vorbeirauscht oder die kinderlose Anwältin bevorzugt wird als Partnerin in der Großkanzlei? Wozu dann noch ein normales Leben mit deinem Mann/deiner Freundin/deiner Frau/deinem Freund entbehren? Wozu zwei Leben in einem führen und sich dauernd halb fühlen, wenn sich das alles gar nicht lohnt?
    Vom Köpfen der Witwe Clicquot bis zu meinem Neustart beim Magazin in Hamburg vergingen nur ein paar Monate, aber die fühlten sich doppelt so lang an, auf ungute Weise, zäh und zerpflückt. Wir durchlebten als Paar einen unruhigen Sommer, einen stürmischen Herbst und eine friedloseWeihnacht. Vorm Tannenbaum, auf den alten Bildern von damals, sehe ich älter aus als heute, viele Jahre später.
    Es war, im Nachhinein betrachtet, vertane Zeit. Wir Gekündigten bekamen noch Geld, mussten und durften aber ab einem gewissen Datum nicht mehr arbeiten. Statt wenigstens mal vier oder gar sechs Wochen gar nichts zu tun und mir endlich große Ferien zu verordnen, entwarf und verwarf ich am laufenden

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