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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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zum Fachbereich Anglistik. Es waren noch Ferien, außer dem Wartungspersonal und ein paar ewigen Graduierten war der Campus menschenleer. Bei seinem Arbeitszimmer angelangt, sah er überrascht seinen Namen an der Tür und daneben einen Zettel mit dem Hinweis, er sei aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt. Er war enttäuscht wie ein eifriger Student, der auf einen Sprung vorbeigekommen war, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich der Professor gerade im Golfanzug an seinem Arbeitsplatz zu schaffen machte.
    Drinnen war es heiß, die Luft staubig. Plakate von Tagungen in Berlin, Basel und Salamanca hingen an den Wänden, alle mit Samsons Namen auf der Rednerliste. Geöffnete Bücher lagen umgedreht auf dem Tisch. Er nahm eines und blätterte es flüchtig durch, wobei er an den Rändern seine eigene ordentliche Handschrift erkannte. Schnell klappte er es wieder zu und legte es an seinen Platz zurück, wie ein Beweisstück.
    Es klopfte an der Tür. Einen Augenblick saß Samson entgeistert da und fragte sich, ob er sich irgendwo verstecken konnte.
    «Wer ist da?»
    Die Tür öffnete sich, und ein Mädchen steckte den Kopf herein. «Professor Greene?»
    «Äh, ja?»
    «Ich habe Sie die Treppe raufgehen sehen. Ich war mir nicht sicher, ob …» Sie schlüpfte hinein und machte die Tür hinter sich zu. Ihre Tasche an die Brust gepresst, sah sie Samson abwartend an. «Sie können sich nicht an mich erinnern, oder?»
    Hilflos erwiderte Samson ihren Blick.
    «Schon gut, ich hatte auch nicht damit gerechnet. Ich bin Lana? Lana Porter? Ich war in Ihrem Seminar über zeitgenössische Literatur.»
    Sie war groß und schlaksig, mit pechschwarzem Haar und Pagenschnitt, schnurgerade an der Stirn, schnurgerade unter den Ohren. In der Nase trug sie einen kleinen Diamantstecker. Sie schien von einer fieberhaften Unruhe getrieben, eine von denen, die ständig essen müssen, um ihren Stoffwechsel auszugleichen.
    «Die Leute haben alles Mögliche erzählt. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte.»
    Ihr Blick flatterte an ihm herunter, kehrte aber sprunghaft wieder zu der Narbe auf seinem Kopf zurück, die sie schamlos betrachtete, so eingehend, dass sie ein paar Sekunden still hielt.
    «Was haben sie erzählt?», fragte er.
    Sie hatte etwas erfrischend Klares an sich, nicht nur, weil sie groß war und ihre kantigen Linien sich dagegen sperrten, im Hintergrund des Mobiliars zu verschwimmen, sondern wegen ihrer noch nicht von tausend Entschuldigungen verbogenen Direktheit.
    «Dass Sie als Krüppel dahinvegetieren.»
    «Verstehe.»
    «Ich hab’s nicht geglaubt. Es wäre zu schrecklich gewesen.» Lana machte ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu und sank auf einen Stuhl; diesen Versuch, zur Ruhe zu kommen, glich sie sogleich aus, indem sie im Sitzen die Füße schlenkern ließ, als wollte sie sich die Möglichkeit offen halten, jederzeit in jede Richtung auszubrechen.
    «Ist es schlimm? Ich meine, sein Gedächtnis zu verlieren? Wahrscheinlich eine blöde Frage. Aber jetzt, wo das Seminar vorbei ist und Sie sich sowieso nicht mehr erinnern, kann ich es Ihnen ja sagen: Jedesmal wenn ich im Seminar etwas gefragt habe, dachte ich nachher, Sie fänden mich dumm.» Sie unterbrach sich. «Ich weiß auch nicht, warum ich Ihnen das erzähle.»
    «Egal, das machen alle so.»
    «Was?»
    «Mir Sachen erzählen. Es ist komisch, aber seit diese Sache passiert ist, scheinen mir die Leute, die mich früher kannten, lauter Geständnisse machen zu wollen. Sie versuchen, mir zu erklären, wie das Verhältnis zwischen uns war. Ganz ehrlich. Die Erleichterung steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn sie damit herausrücken.»
    «Sie dürfen ihnen das nicht übel nehmen. Denken Sie nur, wie seltsam es ist, Ihnen zu begegnen.»
    «Ich weiß. Es muss befremdend sein, nicht erkannt zu werden. Tut mir Leid.»
    «Sie sehen aus wie immer, bis auf das da …» Sie deutete mit vorgeschobenem Kinn auf seine Narbe. «Aber sobald Sie den Mund aufmachen, merkt man, dass etwas anders ist. Das ist unheimlich.»
    «Ich fühle mich unheimlich», sagte er.
    Er sah sie an, und sie sah abwartend zurück.
    «Arbeiten sie nebenbei auf dem Bau?»
    «Was?»
    «Ihre Shorts. Mit der Hammerschlaufe und all den Taschen für was weiß ich, Schraubenzieher oder so.»
    «Sehr witzig. Das nennt sich Stil .» Sie grinste. «Trotzdem, keine schlechte Imitation Ihres alten Selbst.»
    «Wirklich?» Er kniff die Augen zusammen und lächelte zurück. «Lana Porter. Klingt wie ein
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