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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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Kordhose, die er hinten im Schrank gefunden hatte, eine Woche lang ununterbrochen getragen hatte, schlug Anna vor, mit ihm einkaufen zu gehen. Geduldig saß sie im Sportgeschäft auf der hölzernen Gymnastikbank, während Samson vor den Reihen glänzender weißer Turnschuhe auf und ab ging, noch unentschieden, welchen Stil er wollte.
    «Ich habe was gefunden», sagte er und schleppte einen leuchtend blauen Wildlederschuh an. Anna rümpfte die Nase. «Die will ich», beharrte er.
    «Damit machst du dich lächerlich.»
    «Alle haben solche.»
    «Wer sind alle?»
    «Sieh dich um», sagte Samson über die Schulter, während er den Schuh zum Verkäufer trug, der die Augenbrauen hochzog, als Samson ihn bat, seine Schuhgröße zu messen.
    «Sie haben ganz schön große Füße», bemerkte der Verkäufer beim Einstellen des Schiebers.
    «Sie sind riesig», sagte Samson.
    Auf dem Nachhauseweg trug er die alten Schuhe im Karton und die neuen an den Füßen, und dann wollte er sie den ganzen Abend nicht mehr ausziehen. Noch im Bademantel trug er sie, um sie einzulaufen. Die einzigen Schuhe im ganzen Laden, erklärte er Anna, die nicht hässlich gewesen seien.
     
    Während Anna bei der Arbeit war, durchstreifte er die Stadt, indem er mit der Subway fuhr und nach Gutdünken ausstieg. Er senkte den Blick auf den mit altem Kaugummi getüpfelten Boden, bis die Rolltreppe ihn auf die gleißenden, heißen Straßen spie. Er hatte den Stadtplan verlegt, den Anna ihm gegeben und auf dem sie wichtige Standorte markiert hatte, aber wenn er sich verirrte, lief er weiter, bis sich die Umgebung neu ordnete und er sich irgendwo wiederfand, wo er schon mal gewesen war. Es gab bestimmte Stellen, an die er regelmäßig zurückzukehren schien, Plätze oder Kreuzungen, wie Refrains, Konvergenzpunkte, an denen die Stadt sich selbst begegnete, ehe sie um die nächste Ecke entfloh.
    Es war Ende Juli, dann August. Die Stadt schwitzte, Wasser tropfte aus den rostigen Behältern der Klimaanlagen und hinterließ schwarze Kreise auf der Straße. Manchmal brauste ein Bus vorbei und schleuderte Dreck hoch, der sich ihm in die Augen setzte, Busse, an denen Limited stand und die nie zu halten schienen, sondern mit ihren privilegierten, jenseitigen Passagieren einfach durchrauschten. Samson ging von der Upper West Side bis ganz hinunter an die Spitze von Manhattan, wo er durch die trübe Luft die Freiheitsstatue erblickte. Er nahm den Weg am West Side Highway entlang, um Baugruben, Sandhaufen und Schlauchrohre herum, und beobachtete die Möwen beim Landen auf den verrotteten Piers. Wenn er in eine Gegend mit bröckelnden Ladenfronten voller Leuchtreklamen kam, ging er irgendwo hinein und drückte sich in der kühlen Luft herum, bis der koreanische oder pakistanische Geschäftsinhaber ein argwöhnisches Auge auf ihn warf, er den erstbesten Gegenstand ergriff, der sich in Reichweite befand, und zur Kasse ging, wo er seine zerknüllten Scheine wie Taschengeld ausbreitete.
    Der Anblick der Stadt tat weh, lauter Ecken und Sonnengeglitzer, wie zertrümmertes Glas. Die Bäume waren erbärmlich, in Beton gegossen. Die Hunde schienen das zu akzeptieren, und egal wie oft sie am selben Baum vorbeikamen, benahmen sie sich, als hätten sie ihn noch nie gesehen und markierten ihn als ihr Revier. Manchmal nahm Samson Frank mit, der ihm, anders als Anna, alles verziehen hatte. Wenn sie einander in die Augen sahen, spürte er, dass Frank ihn verstand und es nicht für nötig hielt, ihn an die vielen Dinge zu erinnern, die sie früher zusammen gemacht hatten. Oft war Frank die Farce leid, sich den Umstand mit dem Baum zu machen, und pinkelte einfach dahin, wo er gerade stand. An solchen Tagen hegte er wohl Verachtung für die anderen Hunde, die Sklaven des Systems waren.
    Eines Tages fuhr Samson mit der Circle Line und versetzte eine Ausflugsschar von Drittklässlern in helle Aufregung, als er die Kappe abnahm und ihnen seine Narbe zeigte. Er erzählte, er habe sie im Kampf gegen die Kräfte des Bösen davongetragen. Sie drängten sich um ihn, und ein dicker Junge umklammerte sein Knie. Er erzählte, er sei aus einem brennenden Gebäude gesprungen, vergaß es aber dann und erzählte, er sei aus einem Flugzeug abgesprungen.
    Wenn es regnete, sammelten sich Pfützen im Rinnstein, ein chemisch gefärbtes Wasser, ätzend grün. In solchen Momenten war Anna mit ihren kleinen Sprüchen, dem Duft ihres Parfüms und den Haarbändern, die sie wie Ringe an den Fingern trug, ein Fixpunkt,
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