Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
nächtlichen Eindringens, ihre Stimme, die weich und schutzlos klingen würde. Doch als es weiter klingelte und niemand abnahm, begann er sich zu fragen, was sie wohl so spät noch draußen machte, oder ob sie gar woanders schlief. Der Gedanke beunruhigte ihn, und er versuchte sich zu erinnern, ob sie in den letzten Wochen irgendjemanden erwähnt hatte, einen Mann, der im Begriff sein könnte, sich mühelos an dem Platz in ihrem Leben einzunisten, den er geräumt hatte. Er legte auf und wählte noch einmal, aber keine Antwort. Er wollte es gerade ein drittes Mal versuchen, als die Tür aufging und Ray in einem hellblauen Schlafanzug erschien.
«Alles in Ordnung?»
«Ja. Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht aufwecken.»
«Macht nichts, ich habe einen leichten Schlaf. Das leiseste Geräusch, und ich sitze auf der Bettkante.»
Samson blickte auf den Hörer, den er noch in der Hand hielt, und legte ihn aufs Telefon zurück. «Ich wollte nur eben anrufen … Ich dachte, Anna – meine Frau – wäre vielleicht zu Hause. Inzwischen sind wir getrennt. Sie hat mich gebeten, anzurufen, wenn ich angekommen sei.»
«Und, haben Sie sie erreicht?»
«Nein, es hat niemand abgenommen. Ich mache mir nur etwas Sorgen …» Samson blickte kurz nach unten, auf seine Uhr, ein Versuch, überzeugend zu wirken. «Es ist spät dort.»
Ray nickte. Nach ein paar Sekunden sagte er: «Geben Sie ihr Zeit. Und sich selbst ebenso. Es ist eine tragische Sache, jemanden zu verlieren, egal unter welchen Umständen. Aber es ist auch erstaunlich, wie stabil die Menschen sind. Gewiss, jetzt ist es kaum zu glauben, aber eines Tages werden Sie beide aufwachen und merken, es ist gut so. Sie öffnen die Augen, und vielleicht wirkt das Licht irgendwie besonders, und dann setzen Sie sich auf und denken, in Ordnung. »
«Für sie ist es schwieriger.»
«Mag sein. Aber Sie sollten nicht unterschätzen, unter welchem Stress Sie selber stehen. Selbst wenn Sie derjenige waren, der die Entscheidung getroffen hat, bedeutet das nicht, dass Sie nicht traurig sein dürften. Das ginge jedem so. Traurig und verwirrt, da bin ich sicher.»
Er war dankbar für Rays Großzügigkeit, für seine weise, ruhige Art, die nur das Ergebnis von großer Erfahrung sein konnte.
«Also gut, ich bin froh, dass Sie auf sind», sagte Samson. «Ich wollte Ihnen sagen, ich habe über alles nachgedacht und beschlossen, es zu machen.»
Ray grinste und reckte die Fäuste in die Luft. «Phantastisch! Was für eine verdammt gute Nachricht, Samson. Sie wissen gar nicht, wie mich das freut. Sie werden sehen, was wir da draußen machen, ist einfach ungeheuerlich .» Er hatte glänzende Augen, einen leuchtenden, stechenden Blick. Schließlich sah er auf das Telefon hinab. «Was meinen Sie, sollen wir nicht versuchen, sie morgen früh anzurufen?»
Samson nickte.
«Einfach phantastisch», wiederholte Ray, dann drehte er sich um und zog sich, Gute Nacht! hinter sich her rufend, ins Schlafzimmer zurück.
Samson stand am Fenster und schaute auf den dunklen Swimmingpool hinunter. Die Sehnsucht, die er empfand, war ein Gefühl des Vermissens, das er bisher nicht gekannt hatte, obwohl er nicht genau wusste, nach wem oder was er sich sehnte, ob es seine Frau war oder Lana oder etwas ganz anderes, etwas viel Größeres, das er nicht benennen konnte. Lange Zeit verging, ehe er sich aufs Bett legte und die Augen schloss. Im Geist wanderte er wie ein Asket durch die verbrannte Leere. Er beschloss, noch weiter zu gehen, noch mehr aufzugeben. Doch es kam nichts dabei heraus, und so zog er die Knie an die Brust, und morgens wachte er genau so auf.
E inmal außerhalb der Stadtgrenzen, schaltete Ray in den fünften Gang und richtete sich auf Tempo hundertdreißig ein, kaute Kürbiskerne aus seinen Taschen und spuckte die Schalen aus dem Fenster. Im Vorbeifahren rief er laut die Namen der gepeinigten Vegetation, Fettholz, Beifuß, die ersten verkrüppelten Josuabäume, deren gebogene Äste einst Gläubigen den Weg durch die Wüste gewiesen hatten.
Sie hielten an einem Stand mit Windspielen, wo Kakteen und andere Sukkulenten verkauft wurden. Ein halbwüchsiger Junge mit roter Baseballkappe riet den Touristen, die eingetopfte Babypflanzen kauften, einmal im Monat gießen , wohl wissend, das saftige Souvenir würde auf der Reise schon nach wenigen Tagen elend in seinem Töpfchen verenden, geschmort und ausgedörrt.
Der Stand befand sich neben einer Arco-Tankstelle, und während Ray Benzin einfüllte,
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