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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Lachen löste in Donalds Lungen einen Hustenanfall aus. Es war jedes Mal ein Risiko, und meistens begnügte er sich mit einem oberflächlichen, keuchenden Grunzen hinten in der Kehle. «Das wird ’n Glanzstück. Zeig’s mir, wenn’s fertig ist.»
    Samson hauchte auf die Linse und rieb sie mit einem Spezialtuch ab, um verirrte Staubpartikel zu entfernen. Er putzte und polierte und besprühte sie mit Druckluft, während er Donald im Bad vor sich hin summen hörte. Dunst stieg auf, als Donald die Wassertemperatur prüfte, und überzog die Spiegel mit leichtem Beschlag. Er hatte das Bild gar nicht gemacht, aber es war schon egal, da er die Filme sowieso nicht entwickelte. Er fand etwas Asketisches daran, eine Gesetzmäßigkeit: Bilder zu gestalten, die unsichtbar blieben, solange sie vor Licht geschützt wurden.
    Sie wohnten in dem alten, jetzt in freundliche Zimmer verwandelten Badehaus, er und Donald Selwyn, der außerhalb von Las Vegas Grundbesitz erworben hatte. Im Augenblick lag das Land noch brach, eine Einöde in der Wüste.
    «Wie ich mir das vorstelle», sagte Donald, der ewige Salonlöwe, indem er sein Gesicht vor die Klimaanlage hielt, «bringt es mal Millionen ein. Die Stadt hier wächst so schnell wie keine andere im ganzen Land. Irgendwann wird sie mich erreichen.»
    Er hatte dichten Haarflaum auf der Brust und an den Armen, genug für einen Sweater. Er hustete einen tiefen, trägen, trockenen Husten. Er war über sechzig und bei schlechter Gesundheit, und Samson hütete sich, auf die offensichtliche Schwachstelle in Donalds Plänen hinzuweisen, die Unwahrscheinlichkeit, dass er noch am Leben wäre, um den Glücksfall zu genießen.
    Die Mahlzeiten wurden in einem Speisesaal serviert, dessen Glastüren den Blick auf eine Gartenlandschaft aus Kakteen, Kastillea und Ocotillosträuchen freigaben. Jeden Tag kam ein Dienstmädchen in ihre Zimmer, wechselte die Handtücher, machte die Betten und faltete das Ende der Klorolle zu einem akkuraten   V. Die alten Holzschilder waren frisch gestrichen, die ursprünglichen Namen der Gebäude – das Badehaus, die Sauna – beibehalten worden wie finstere Euphemismen, als wäre das Bad eine Tarnung für illegale Machenschaften. Die Sicherheitsvorkehrungen waren minimal, nur ein verschlafener Wächter, der, mit der Fliegenklatsche wedelnd, in einer Bude saß: außer einem kleinen Schild und einem groben Viehgatter der einzige Hinweis auf den Eingang. Jeder, der zufällig vorbeikam, würde hier eine diskrete, gut verborgene Erholungseinrichtung vermuten, eine von den unauffälligen, für die Elite.
    Das Forschungsteam – Neurowissenschaftler, Neuropsychologen, Computerwissenschaftler, Techniker und Laboranten – arbeitete in einem Tausend-Quadratmeter-Labor, kaum wärmer gehalten als eine Fleischtruhe und von einem Großgenerator mit Energie versorgt. Es waren Menschen, die ihre Universitäten oder hochmodernen Krankenhäuser verlassen hatten, um in die Wüste zu gehen, wie ehemals die Spekulanten auf der Suche nach Silber, Gold und Wolfram, nach Casinos und Vieh, nach Kurbädern in spe . Menschen, die an die Macht der Wissenschaft glaubten, wie andere vor ihnen an den Zorn Gottes geglaubt hatten.
    Sie lebten in Bungalows mit Hintergärten, die an den Fuß der Berge stießen. Am Wochenende milderten sie das Berufsrisiko, sich zwanghaft ihre eigenen Gehirne bei der Arbeit vorstellen zu müssen, indem sie Steaks grillten, Krautsalat aßen und ihren Kindern beim Spielen in den Sprinklern zusahen, während sich über den triefenden Köpfen schillernde Regenbögen bildeten. Wenn es denn Kinder gab: Viele waren allein gekommen, ohne ihre Ehemänner, -frauen oder sonstige Partner, die eigene Karrieren verfolgten, eingefleischte Städter, die sich die Wüste als etwas dachten, wo man durchfuhr, um andere Städte zu erreichen. Es war eine intime Gruppe, und beim geselligen Zusammensein versuchten sie das Thema Gedächtnis zu meiden. Sie hatten Geländewagen, mit denen sie ins zerklüftete Gebirge fuhren, knirschendes Geröll unter den Rädern und manchmal einem Platten, in welchem Fall die Männer die Ärmel aufkrempelten, während die Frauen den Landkartenmaßstab zwischen Daumen und Zeigefinger nahmen, um abzumessen, wie weit es zur nächsten Tankstelle war.
     
    Donald konnte Personen imitieren. Er schlurfte über den Boden, ging in Position und sagte: «Wer bin ich?» Er übernahm den ganzen Körper, nicht nur das Gesicht und die Stimme. Er schnappte sich ein unsichtbares

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