Kommt Schnee
alles war gut gegangen. Baumer war bereits hinter ein paar Autos verschwunden, als sich Grollimund nach seinem Versuch, sich warm zu hoppeln, wieder herumgedreht hatte. Baumer lachte innerlich, als er ihn von weitem sah, wie er mit seiner Fingerwaffe im Anschlag angespannt um die Ecke schaute.
*
Der Kommissar überquerte am Ende seiner Wohnstraße die Münchensteinerbrücke. Das kupferne Stellwerk der Stararchitekten Herzog und de Meuron und der Betrieb auf den Gleisen blieb von ihm völlig unbeachtet. Er schritt zügig aus, denn er wollte so schnell wie möglich an das östliche Ende des Bahnhofsgebäudes gelangen und dort ins Parking hinabtauchen.
Unten in der Tiefgarage wartete schon Rolf Danner, der Blick-Experte für Mordfälle. Auf dessen Nase thronte seine Fliegenaugenbrille. Obwohl das Parkhaus weitläufig angelegt war, entdeckte der Basler Polizeikommissar den Journalisten sofort, weil dieser sich so positioniert hatte, dass er alle Abgänge im Auge behalten konnte. Ohne Worte auszutauschen, schüttelten sie ihre Hände, gingen zu Danners Wagen und stiegen ein. Danner startete den Motor, setzte aus der Parkposition zurück und fuhr los.
»Scheiße, vergessen zu zahlen«, war das Erste, was er bemerkte. Also hielt er nahe am Ausgang und ging zum Kassenautomat, während der Motor weiterlief. Am Automat kam ihm eine junge Frau mit Kind zuvor. Er musste sich anstellen. Es dauerte einen Moment, dann hatte er gezahlt und stieg wieder ins Auto. Baumer hatte in der Zwischenzeit den Zündschlüssel zurückgedreht. Er hatte den Gestank der Abgase geschmeckt. Danner ließ den Wagen kommentarlos wieder anlaufen und fuhr auf den Ausgang zu.
Rolf Danner behielt auch im Auto sein Markenzeichen auf. Baumer fragte sich, ob der Blick-Journalist seine Brille nie abnehme, selbst hier in dieser dunklen Einstellhalle nicht. »Nimmst du nie deine Brille ab?«, fragte er prompt und ohne Scham.
»Nein. Warum?«, sagte Danner geistesabwesend. Er war an der Ausfahrt angekommen und schob die Quittung ein. Die Schranke öffnete sich, und Danner fuhr die Rampe hoch, die ihn aus dem Parking führte. »Also jetzt, wohin?«
»Oben rechts.«
»Das weiß ich, dass ich oben rechts muss. Das ist der einzige Weg hier«, sagte Danner gehässig.
»Wir fahren zuerst zum Voltaplatz, dann am Campus vorbei Richtung St. Louis.«
»Okay, mach ich. Und jetzt? Erzählst du mir, was Sache ist.«
»Wenn wir da sind, sonst muss ich alles zweimal erzählen.«
Danner insistierte nicht. Wozu auch versuchen, mit diesem Baumer ein Gespräch zu führen. Der war schon ein spezieller Kerl. Einsilbig. Große Füße! Aber eigentlich ganz okay. Danner mochte Baumer. Er mochte ihn, weil er ihm in gewisser Weise seelenverwandt war. Baumer war – wie er selbst – einer, der bei den Großen keine Chancen hatte. Sie waren für diese Leute unangenehm, weil sie nicht allen Mist mitmachten. Zwar wurden sie von den Großen insgeheim dafür bewundert. Aber auf gleicher Höhe durften sie sich nicht bewegen. Also wurden sie von denen zuerst erniedrigt und dann verlacht. Und weil es eigentlich wenig zum Herunterputzen gab, suchten sich diese Leute andere Angriffsflächen. Danner war ein Dreckszürcher. Da Baumer weder schwarz noch schwul und auch kein Zürcher war, mussten eben seine Füße herhalten. »Baumer hat große Stinkfüße! Ha, ha, ha!«, riefen sie krachend, wenn sie böse oder nur eifersüchtig waren. Aber wenn es gefährlich wurde, schob man diesem Schugger die Arbeit zu. Dann waren diese Großen froh, wenn sie den Kopf einziehen konnten und ein anderer seinen Schädel hinhalten musste. Danner dachte dabei an diese Geiselnahme vor vier Jahren nahe der Messe.
Damals war ein Mann aus Malaysia durchgedreht, hatte wild um sich geschossen. Aus Verzweiflung? Krank im Kopf? Niemand wusste es. Es war auch egal. Der Mann hatte aus seiner Wohnung heraus auf Passanten geballert und zwei Leute schwer verletzt. Danach nahm er seine eigene Frau als Geisel. Und dann wurde Baumer an die vorderste Front geschickt. Der redete beruhigend auf den Amokläufer ein. Ja, da konnte Baumer reden. Schließlich gewann Baumer das Vertrauen des Spinners. Schlüpfte sogar in dessen Wohnung. Selbstverständlich unbewaffnet. Der Chef der Einsatztruppe hatte beinahe eine Herzbarracke bekommen, weil er nun nichts mehr riskieren konnte, ohne auch den eigenen Mann zu gefährden. Fieberhaft wurde nach Mikrofonen gesucht, die man in Stellung bringen wollte um abzuhören, was drinnen vor
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