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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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sich ging.
    Gerade als sie angebracht und verkabelt waren, rief Baumer von innen, »Achtung. Ich bin’s. Baumer. Ich komme jetzt raus. Nicht schießen.« Dann öffnete er die Wohnungstür und trat hinaus. In der Hand hatte er die gesicherte Pistole des Amokläufers. Dann sagte er: »Ihr könnt jetzt hereinkommen«, und hielt seinen Kollegen die Tür auf.
    Als die Einsatzkräfte in die Wohnung gingen – einer putzte sich vor der Tür sogar noch artig die Füße ab – saß die Frau drinnen mit erschüttertem Gesicht auf dem Sofasessel. Sie weinte ganz sachte. Tränen kullerten unablässig ihr Gesicht hinunter, aber sie war ganz still. Ihr Mann sagte ebenfalls nichts. Er saß bewusstlos auf dem Sofa, den Kopf zur Seite geneigt. Der Zeigefinger seiner rechten Hand steckte im Henkel einer Espressotasse, die wiederum auf dem Sofa lag. Der Inhalt der Tasse war zum größten Teil auf die Brust des Mannes verschüttet. Der Rest war auf das Sofa getropft und bereits vom gerippten Manchesterstoff des Sofas aufgesogen. Die linke Hand des Amokschützen lag auf dem linken Oberschenkel. Die Finger der nach oben gedrehten Hand waren gekrümmt. Die Hand erinnerte an die einer thailändischen Tänzerin.
    »Leck mich am Allerwertesten«, dachte Danner, der diesen Film vor sich gesehen hatte, als wäre es gestern gewesen. Baumer hatte es doch in der Tat geschafft, den Malaysier zu einem Kaffee zu bequatschen. Zusammen hatten sie dann – Danner konnte es immer noch kaum glauben – gemütlich einen Kaffee getrunken, den die Frau des Malaysiers zubereitet hatte. Der Malaysier war stolz gewesen, dass ein Schweizer seinen faden, aber umso bittereren Kaffee gemocht hatte. Er hatte die Waffe vor sich auf den Sofatisch gelegt und das Glas gehoben, um seinen ersten Schluck zu genießen. Den Handkantenschlag von Baumer, der ihn brutal im Genick traf, hatte er kaum und viel zu spät kommen sehen. Als ob jemand die Sonne ausgeknipst hätte, hatten den Geiselnehmer urplötzlich Schwärze und Bewusstlosigkeit überfallen und ihn niedergestreckt.
    »Weißt du noch, vor vier Jahren, der Malaysier?«, fragte Danner.
    »Tempi passati«, antwortete Baumer. Vergangene Zeiten.
    »Mir ist nichts vergangen, Baumer. Es ist mir, als wäre es gestern gewesen. Du hast damals ...«, sprach Danner.
    »Tempi passati«, erhöhte Baumer die Stimme. »Dieses Mal ist es nicht so einfach.«
    »Schon klar, Baumi, aber ...«
    »Nix aber«, sagte Baumer kurz angebunden.
    Danner schwieg.

    *
    Als sie bei der Buvette ankamen, war Ali da. Ali, der Türke, von dem niemand den Nachnamen kannte, weil nie jemand gefragt hatte. Der Schnauzbärtige wurstelte in seiner kalten Bude und schien die neuen Gäste kaum wahrzunehmen. Wahrscheinlich schlief er noch zur Hälfte und musste sich erst in seiner Buvette zurechtfinden, die ihm während der nächsten zwölf Stunden kalte Heimat sein würde. Baumer und Danner gingen sofort in das kleine Zelt neben der Imbissbude. Dort saßen bereits Heinzmann und der Professor.
    »Schön, dass Sie kommen konnten, Professor«, begrüßte Baumer den Gerichtsmediziner Dr. Regazzoni.
    »Sie haben mich am Telefon so höflich darum gebeten, da konnte ich nicht nein sagen.«
    »Ich hoffe, Ihre Sekretärin hat Verständnis, dass ich Sie ihr ausgespannt habe.«
    »Meine Sekretärin? Was hat denn die damit zu tun?«, argwöhnte der Professor.
    »Nichts.«
    »Ja. Das will ich doch meinen.«
    Baumer zog einen Stuhl heran und setzte sich zu Regazzoni und Heinzmann an den Plastiktisch. Heinzmann war, ganz unüblich, in zivil gekleidet. Seine Kleidung passte ihm wie ein Fasnachtskostüm, das man 20 Jahre nicht getragen hatte, aber zufällig im Keller wiedergefunden hatte.
    Danner stand noch und wollte sich eben setzen, als er von Regazzoni angemacht wurde. »Was wollen Sie denn hier?«
    »Grüezi, Herr Doktor, freut mich auch.«
    »Mich freut es nicht«, antwortete dieser kalt und schaute auf die andere Seite. Ohne seinen Oberkörper zu bewegen, schwenkte er seinen Kopf zum Kommissar und schaute ihn böse an. »Was soll das?«
    »Ist schon gut so«, bedeutete der Kommissar.
    »Gut so?«, tönte Regazzoni zynisch und hob das Kinn zum Journalisten wie ein distinguierter Graf zu seinem faulen Diener. Zu Danner gewandt sagte er: »Nehmen Sie eigentlich nie Ihre Brille ab? Ich vertraue keinem Menschen, dem ich nicht in die Augen sehen kann.«
    Danner, der sich gesetzt hatte, zog die Brille sofort und ohne irgendeine Widerrede ab und schaute den Professor an. »Gut

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