kommt wie gerufen
lächelte begütigend. »Bishop wird Ihnen jetzt ein stilles Eckchen zuweisen, wo Sie die Adresse auswendig lernen können. Ich hoffe. Sie sind nicht beleidigt, daß wir Sie einem Test mit dem Lügendetektor unterzogen haben?«
»Im Gegenteil, es war wahnsinnig spannend«, strahlte sie ihn an.
»Gut. Das war auch kein persönliches Mißtrauen, sondern eine Routineangelegenheit.« Er hatte ihr die Hand hingestreckt und ihre Hand geschüttelt. »Wir werden uns nicht mehr sehen, Mrs. Pollifax. Ich wünsche Ihnen recht viel Vergnügen.«
Sie vermutete hellhörig, daß er absichtlich das Wort >Vergnügen< gebraucht hatte, um ihr die letzten eventuell noch vorhandenen Illusionen über ihre geheime Mission zu zerstören.
Mrs. Pollifax’ Tochter hatte die Neuigkeit sehr betroffen zur Kenntnis genommen. »Aber, Mutter«, hatte Jane über den Fernsprecher gejammert, »warum hast du uns denn keinen Ton davon gesagt, daß du mal verreisen möchtest? Du hättest hierher nach Arizona kommen können. Ich habe Mrs. Blair ins Haus genommen, damit sie auf die Kinder achtgibt, während John und ich in Kanada sind. Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte – uns wäre es bedeutend lieber gewesen, du wärst gekommen, und die Kinder sind jedesmal begeistert, wenn du uns besuchst.«
»Es ist nur so ein kleiner Abstecher, den ich gern einmal auf eigene Faust unternehmen möchte«, hatte Mrs. Pollifax erklärt und ihrer Tochter einen schönen Urlaub in Kanada erwünscht.
Ihr Sohn Roger war als Student einmal in Mexiko gewesen und erteilte ihr gute Ratschläge über das Trinkwasser. Er war jedoch seiner Mutter viel stärker nachgeraten als seine Schwester und hatte hinzugefügt: »Allmählich habe ich mir deinethalben schon Sorgen gemacht, Mutter. Du warst schon seit Jahren so beängstigend konventionell. Wir sehen uns zu Weihnachten. Solltest du in der Patsche sitzen, dann schick mir ein Telegramm.«
Lieber Roger, dachte sie, als sie sich anschnallte. Das Sonnenlicht gleißte auf einer Tragfläche des Flugzeugs und blendete sie. Und dann begann die Landschaft mit ohrenbetäubendem Krach jenseits von Mrs. Pollifax’ Fenster mit schwindelerregender Schnelligkeit dahinzugleiten, verwischte sich zu einem bunten Strich und sank ab.
Wir fliegen, dachte sie, und ungeheurer Stolz wie über eine persönliche Großtat erfüllte sie.
Als das Flugzeug sich in Spiralen über Mexico-City senkte, spähte Mrs. Pollifax auf die weiß flimmernde Stadt hinab und fand sie erstaunlich flach und so ganz anders als New York mit seinen Wolkenkratzern, die wie Felsen aus den Schatten stachen. Im nächsten Augenblick stellte sie ungemein erleichtert fest, daß die Landung bedeutend bequemer war als der Abflug, und gleich darauf atmete sie die dünne Hochplateauluft von Mexico-City. Auf dem Weg ins Hotel hielt sie die Nase an die Scheibe des Taxis gedrückt, aber als sie ihren ersten Sombrero entdeckte, seufzte sie befriedigt auf und lehnte sich zurück.
Das Hotel war viel eleganter, als Mrs. Pollifax es sich erträumt hatte. Fast schon zu elegant, dachte sie, die etwas Bodenständigeres vorgezogen hätte, aber dann rief sie sich ins Gedächtnis, daß nicht sie zu wählen hatte und so eben ein Hotel aussah, in dem ausländische Touristen abstiegen. »Ich bin eine Touristin«, sagte sie sich vor.
Mrs. Pollifax kam am Spätnachmittag an. Sie aß frühzeitig im Hotel zu Abend, nahm ein lauwarmes Bad und ging höchst vernünftig um neun Uhr zu Bett. Am nächsten Morgen war sie die erste, die sich zum Rundfahrtenbus anstellte, der ihr die Bekanntschaft mit Mexico-City versprach. Unterwegs entspann sich ein Gespräch mit zwei amerikanischen Lehrerinnen, einer Miß Lambert und Mrs. Donahue, aber trotz der angeregten Unterhaltung achtete Mrs. Pollifax auf jedes Straßenschild, an dem sie vorbeifuhren. Nach Beendigung der Rundfahrt wußte sie zwar, wo sich der Paseo de la Reforma, der Palacia de Bellas Artes, der Justizpalast und das städtische Pfandhaus befanden; sie hatte auch zwei neue Freundinnen gewonnen und eine Menge über die Geschichte Mexikos gelernt, aber die Calle el Siglo hatte sie nicht entdeckt.
Am nächsten Tag kaufte Mrs. Pollifax sich einen Stadtplan, den sie eine Stunde lang gründlich studierte und sich anschließend auf den Weg machte, um die Calle el Siglo und den Buchladen zum Papagei zu finden, denn die Gewissenhaftigkeit war ihr angeboren und sie konnte ihre Ferien nicht unbeschwert genießen, ehe sie genau wußte, wo sie am 19. August
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