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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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ohne daß der Fortschritt, der eine Schritt nach vorn, den Rückschritt, die zwei Schritte zurück, bereits als Zentnerlast mit sich schleppte, als gehörten Forschritt und Rückschritt untrennbar zusammen.
    Nach Saranis Ansicht wäre die Akademie ein revolutionäres Unternehmen geworden; eine Ansicht, die, wie er nun grimmig konstatierte, der Österreicher nur zum Teil, wenn nicht überhaupt nur zum Schein geteilt hatte – noch ein Indiz, daß diese Freundschaft von dem Österreicher nicht erst in diesem Jahr, sondern schon vor langer Zeit verraten worden war. Finster versenkte Sarani sich in das Thema Revolution, dem die beiden Freunde jahrzehntelang verfallen waren, mit Leidenschaft, aber auch mit Leichtfertigkeit: ihre Liebe zur Revolution war, wie Sarani sich erinnerte, nicht ohne Selbstironie undÜbermut gewesen, auch voller Mißverständnisse, wie es zwischen einem in die Theorie Vernarrten, dem Österreicher, und einem aufs Praktische Drängenden wie Sarani nicht anders sein konnte.
    Im Augenblick aber trieb er, Sarani, einen Keil in die alte Passion, er wollte, daß von jener Gemeinsamkeit nichts blieb. Das gelang ihm trotz seines maßlosen Hasses nicht. Die Erinnerung mahnte ihn, das einfache und unschuldige Motiv, das die beiden in ihrer Jugend geleitet hatte, nicht mutwillig zu zerstören. Sie waren damals durchdrungen von dem Glauben, daß es keinen Gott gibt, und nannten diesen Unglauben sicheres Wissen, zu dem auch die Gewißheit gehörte, daß das Leben mit dem Tod endet. Das hieß, daß der Mensch nur ein Leben hat. Diesen Satz konnten sie einander nicht oft genug vorsagen, denn daraus folgte für sie die Notwendigkeit einer Revolution.
    Wenn der Mensch nur einmal lebt, so dachten sie in der Jugend, ist äußerste Behutsamkeit gegenüber diesem Leben angezeigt. Der einzelne mag sein Leben geringachten, zerstören, ja wegwerfen, von außen aber darf es nicht behelligt werden. Arbeit mag notwendig sein, aber daß der eine sich die Früchte der Arbeit des anderen aneignet und daß dieser Diebstahl zu einer Gesellschaftsordnung erhoben wird, die auch noch kundtut, es gäbe keine bessere, das trieb die beiden jungen Männer dazu, eine Revolution, auch wenn sie nicht zu sagen wußten, wie die zu machen wäre, für unerläßlich zu erklären, denn kein Mensch sollte am Ende seines Lebens sagen müssen, ein Leben gehabt zu haben, das keines gewesen ist.
    Im Lauf der Jahre aber, erinnerte Sarani sich, hätten ihre Auffassungen sich diametral entwickelt. Für ihn, dachteer, ohne diesen Gedanken vorher in solcher Klarheit gedacht zu haben, sei die Welt ein Paradies. Für den Österreicher, redete er sich nun, wohl aus Feindseligkeit ein, sei sie eine Hölle. Es gebe, dachte Sarani, genug Nahrung für alle, und was die Menschen darüber hinaus brauchten, Unterkunft, Kleidung, lasse sich ohne Mühe herstellen. Ja, dachte er, in der nüchternen Ankunftshalle des Kairoer Flughafens sitzend, die Welt sei ein Paradies, aus dem, anders, als die von Menschenhaß triefenden Religionen behaupteten, der Mensch nie vertrieben worden sei.
    Schon vor dreißig Jahren – er erinnerte sich unwillig an seine ersten praktischen Versuche, die Welt zu verändern, denn er wollte sich nicht in einem Thema verlieren, das von der Gemeinheit des Österreichers zu Tode gebracht worden war – habe es in seiner kleinen Firma in Graz nur minimale Einkommensunterschiede zwischen ihm, dem Eigentümer, und den Ingenieuren, den Ökonomen, den Arbeitern, den Hilfsarbeitern gegeben. Es hätte ein größerer Versuch, ein öffentlich diskutiertes Modell werden können, aber er habe die Firma an die Mitarbeiter verkauft und sei zurück nach Ägypten gegangen.
    Ein halbes Jahr später sei die Firma bankrott gewesen, es habe angeblich der eine Besitzer gefehlt, also er, der allein, also autoritär hätte entscheiden sollen, wie genossenschaftlich zu wirtschaften sei. Als die Firma allen gehörte, wollte sie, hieß es, jeder für sich haben – diese Nachricht war ihm allerdings von jemandem übermittelt worden, der dem Versuch ablehnend gegenüberstand, an sich ein guter Ingenieur, der sich aber nur zu entfalten vermochte, wenn er einen Herrn hatte, dem er dienen, und einen Untergebenen, den er anherrschen konnte.
    So kompliziert, dachte Sarani, seien schon die Vorstufenzur Revolution. Diese Grazer Firma sei nur der Versuch eines Versuchs gewesen. Das richtige Experiment, modellhaft, exemplarisch, hätte als Knospe die Farm, als Blüte die Akademie

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